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Emotionale Intelligenz und gelingende Beziehung im virtuellen Raum

05.04.2022Gerhard Liska

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Emotionale  Intelligenz und gelingende Beziehung im virtuellen Raum 

Dieser Blogpost beschäftigt sich mit zwei Fragestellungen im Zusammenhang mit der Bedeutungszunahme virtueller Settings in der Teamkommunikation. 
Diese sind: (1) Emotionalität im virtuellen Raum – was ist hier anders, als wenn Menschen sich persönlich gegenübersitzen? und (2) Welche konkreten Schritte können Führungskräfte setzen, um virtuelle Settings in der Teamkommunikation optimal zu nutzen?

Die Antwort zur ersten Frage beschäftigt sich mit den Unterschieden zwischen virtueller und physischer Präsenz bzw. Kommunikation. Die Antwort zur zweiten Frage beschreibt aus einer praxisorientierten Sicht wichtige konkrete Aktionspunkte für Führungskräfte, um den hybriden Raum erfolgreich zu nutzen.

Emotionalität im virtuellen Raum – was ist hier anders, als wenn Menschen sich persönlich gegenübersitzen?

Der große Pluspunkt virtueller Kommunikation ist, dass die Zusammenarbeit und der Austausch über geografische Distanzen und Zeitzonen hinweg recht einfach und kostengünstig gelingen. Das senkt Reisezeiten, erhöht die Produktivität und wirkt durchaus im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit. Gelingende virtuelle Kommunikation hat aber auch einige Hürden, die es zu nehmen gilt. Solche Hürden können Wahrnehmungsverzerrungen, technische Schwierigkeiten und instabile Verbindungen, ungünstige Arbeits-, Licht-, Umgebungsverhältnisse oder auch die technische Unerfahrenheit der beteiligten Personen sein. 

Die Gefahr von Wahrnehmungsverzerrungen rührt daher, dass man virtuell ein technisch übertragenes Bild der Person vor Augen hat und nicht den Menschen an sich, auch wenn man meint, das Gegenüber ganz und präsent wahrzunehmen. Ein Bild, das noch dazu durch eine instabile Verbindung oder technische Schwierigkeiten zeitverzögert, verzerrt oder anderweitig beeinträchtigt sein kann. Zudem wirkt das übertragene Bild manchmal unvorteilhaft oder befremdlich, aufgenommen aus einem Kamerablickwinkel, der das Gesicht von oben, unten oder ganz nah zeigt. Unklare Lichtverhältnisse, beispielsweise bei Licht im Hintergrund dazu, können sich so auswirken, dass manchmal nur eine dunkle Kontur zu sehen ist und damit rasch vom eigentlichen Inhalt eines Meetings ablenken. 

Körpersprache und Emotionen im virtuellen Raum

Im virtuellen Raum fällt ein guter Teil dessen weg, was sonst als unmittelbare körpersprachliche oder non-verbale Wahrnehmung Eindrücke zur emotionalen Befindlichkeit des Gegenübers liefert, da das Bild der Webkamera üblicherweise primär das Gesicht zeigt. Schon die Gestik kommt nur mehr ab und an ins Spiel, vom Rest des Körpers ganz zu schweigen. Die Wahrnehmung erfolgt über weniger Sinneskanäle und ist weniger ganzheitlich. Das führt dazu, dass Informationen über das Gegenüber im virtuellen Raum grundsätzlich unvollständiger sind als im Präsenzraum. Die zusätzliche Gehirnleistung im Sinne der „Bildergänzung“ wirkt ermüdend, da unbewusst beständig versucht wird, die fehlenden Informationen zu ergänzen.

Emotionale Wahrnehmungen stützen sich im virtuellen Raum neben dem gesprochenen Wort und der damit einhergehenden Färbung daher sehr auf den Gesichtsausdruck. Das Spiel der Mimik ist in einer Fokussierung sichtbar, der im Präsenzraum nicht der gleiche Aufmerksamkeitsfokus beikommt. Das mag ein Stück des fehlenden Körperausdruckes ersetzen, lädt jedoch auch dazu ein, kleinsten Regungen mehr Gewicht zu geben, als ihnen im Gespräch tatsächlich zukommen würde. 

Bedeutung von Vertrauen und Gemeinschaftsgefühl

Aus einer dialogischen Perspektive und im Sinne sozialer Nachhaltigkeit sind es insbesondere zwei Aspekte, die bedeutsam sind: Das wechselseitige Vertrauensverhältnis und das Wir-Gefühl in einem Team. 
Zur Bildung und Festigung eines stabilen Vertrauensverhältnisses sind der persönliche Kontakt und die Wahrnehmung eines Menschen in der Ganzheit des verbalen und non-verbalen Ausdruckes ein förderliches Moment. Die körperliche Präsenz eines Menschen ist von zentraler Bedeutung für die Ausrichtung der Aufmerksamkeit und des gegenseitigen Engagements in gelingende und vertrauensbildende Kommunikation. In dem Maße, in dem körperliche Präsenz fehlt oder durch das Bild auf dem Bildschirm ersetzt wird, erscheint auch die Vertiefung gegenseitigen Vertrauens schwieriger. Der verbalen Kommunikation, dem Sprechen über Ausdruck und Gefühle, kommt dann die Aufgabe zu, die anderen Wahrnehmungskanäle in gewisser Weise nachzuformen. 
Das macht es möglich, Wahrnehmungen zu artikulieren, die sonst über non-verbale Kanäle ermöglicht würden, auch wenn das natürlich kein adäquater Ersatz dafür ist. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, in der virtuellen Kommunikation neben den fachlichen Inhalten immer wieder bewusst auch persönliche Themen und Befindlichkeiten einzuflechten. Es gilt, die inhaltliche und persönliche Ebene im Gespräch aktiver miteinander zu vernetzen, als das vielleicht im Präsenzmeeting stattfinden würde.
Überwiegende oder ausschließliche Kommunikation im virtuellen Raum stärkt darüber hinaus die Tendenz zur Individualisierung und schwächt das als „Wir“ erlebte und als Solidarität ausgedrückte Teamgefühl. Das ist insbesondere der Tatsache geschuldet, dass der Einzelne in der virtuellen Kommunikation allein vor seinem Endgerät sitzt und nicht im Meetingraum physisch im Kreis der Teammitglieder. Emotionale Impulse und Schwingungen in der und aus der Gruppe finden dadurch deutlich schwieriger einen geeigneten Resonanzboden.

Welche konkreten Schritte können Führungskräfte setzen, um virtuelle Settings in der Teamkommunikation optimal zu nutzen? 

Diese Frage ist wichtig in Bezug auf das Rollenhandeln als Führungskraft. Die Möglichkeiten der virtuellen Welt optimal zu nutzen, setzt auf Seiten einer Führungskraft entsprechendes Bewusstsein und Bereitschaft dafür voraus. Im Moment ist eine virtuell-physische Hybridkultur im Entstehen, bei der Präsenzveranstaltungen, virtuelle Veranstaltungen, unterschiedliche Medienplattformen und Arten der Kommunikation zusehends ineinanderfließen. Daraus entstehen neue und komplexe Kontexte für die soziale Interaktion. Die Frage nach der optimalen und ausgewogenen Balance zwischen Kommunikation im Präsenzraum und im virtuellen Raum wird bedeutsam. Für Führungskräfte wird es daher notwendig, dieser neuartigen Hybridkultur den geeigneten Kontext im eigenen Team zu geben, um die Vorteile aus beiden Welten optimal nutzen zu können.

Investieren Sie in den Vertrauensaufbau

In Bezug auf Vertrauen ist es notwendig, das gegenseitige Vertrauensverhältnis zu den einzelnen Teammitgliedern und innerhalb des Teams immer wieder zu reflektieren, nachzuschärfen und bewusst zu gestalten. Das erfolgt sinnvollerweise im Präsenzsetting, gelingt aber auch im virtuellen Meeting, wenn diesem Punkt genug Raum und Zeit eingeräumt wird. Feedbackrunden, bei denen bewusst auch positive Aspekte zum Ausdruck kommen, sind hier eine gute Möglichkeit. Wird im Homeoffice gearbeitet, bietet sich dieser Einblick in eigentlich private Räume als Möglichkeit, einander besser kennen zu lernen, indem beispielsweise persönliche Geschichten zu im Bild sichtbaren Gegenständen eingeflochten werden.

Strukturieren Sie die Softskill-Elemente

In Bezug auf das Wir-Gefühl im Team brauchen die Stilleren im Team eventuell noch mehr Einladung sich mitzuteilen als im Präsenzraum. Befindlichkeits- oder Zufriedenheitsrunden, bei denen jedes Teammitglied kurz Stellung nimmt, sind in diesem Zusammenhang ein mögliches Tool. Solche Runden ermöglichen auch emotionale Wahrnehmungen zur Stimmung in der Gruppe, die im Präsenzraum oft non-verbal erfolgen, im virtuellen Raum verbal abzuholen und dadurch für alle den Einblick in die Gruppenstimmung zu ermöglichen.

Wenige Regeln, doch diese als Maß und Orientierung verbindlich 

Die Kommunikations- und Meetingetikette im Team immer wieder zu reflektieren, ist ein weiterer hilfreicher Punkt. Da virtuelle Meetings sehr einfach und schnell über einige Mausklicks eingerichtet sind, steigt die Verführung, mehr Meetings zu machen und mehr Teilnehmende dazu einzuladen als eigentlich notwendig. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, kritisch zu hinterfragen, ob ein Meeting notwendig ist und wer wirklich dazu eingeladen werden soll. Es ist auch sinnvoll, im Team offen über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten des virtuellen Settings zu sprechen, um mit entsprechenden Befürchtungen und Stressfaktoren gut umgehen zu können. 
Auf Meetingregeln und –etikette im virtuellen Raum zu achten, beispielsweise die Kamera einzuschalten oder den Ton auszuschalten, wenn nicht selbst gesprochen wird, um Nebengeräusche zu vermeiden, steigert die Effektivität eines Meetings und hilft unnötige Störfaktoren zu vermeiden.

Das Rollenverständnis und der Handlungsrahmen der Führungskraft helfen über unterschätzte Klippen hinweg

Führungskräfte sind auch in der Verantwortung, die entsprechende Hard- und Software, das gemeinsame Prozedere und die erforderliche virtuelle Kompetenz, beispielsweise hinsichtlich der Nutzung spezifischer Konferenzprogramme, für erfolgreiche virtuelle Meetings sicher zu stellen. Das erfordert unter Umständen auch das Trainieren neuer Wahrnehmungs- und Interpretationsmodi. Die jährlichen Mitarbeitergespräche und Entwicklungsprotokolle der einzelnen Teammitglieder bieten sich als idealer Ort an, die individuelle Entwicklung in Richtung virtueller Kompetenz zu reflektieren, um das Potenzial neuer Hybridräume aktiv zu gestalten.

Kommunikation und Beziehungsgestaltung im virtuellen Raum zeigen doch einige Besonderheiten im Vergleich zum Präsenzsetting. Der bewusste Umgang damit und die konsequente Auseinandersetzung mit den dazu notwendigen Kompetenzen führt letztlich dazu, sich in beiden Welten gekonnt zu bewegen. 

Verwendete Literatur

Boyns, D. & Loprieno, D. (2014) Feeling Through Presence: Toward a Theory of Interaction Rituals and Parasociality in Online Social Worlds. In: Internet and Emotions (ed. Tova Benski and Eran Fisher). Routledge. New York London

Collins, R. (2011) Interaction Rituals and the New Electronic Media. The Sociological Eye. Retrieved August 28, 2011 from http://sociological-eye.blogspot.com/2011/01/interaction-rituals-and-new-electronic.html 

De Mio, R. R. (2002). On Defining Virtual Emotion Intelligence. ECIS 2002 Proceedings, 149.

Pammer-Schindler, V & Bangerl, M. (2022) Digitale Interaktion. Warum online zu kommunizieren so ermüdend ist. Tageszeitung Der Standard vom 17.02.2022; https://www.derstandard.at/story/2000133348106/warum-online-zu-kommunizieren-so-ermuedend-ist