Fallstrick Prozessoptimierung – Verlust der Sinnhaftigkeit?
Kann sich die konsequente Optimierung von Prozessen und Abläufen langfristig zu einer Sackgasse entwickeln?
… eine kritische Betrachtung konsequenter Optimierungsanstrengungen und ihrer Folgen
08.03.2022Carmen Barmbichler
DownloadDie Auseinandersetzung mit der Frage, warum Arbeitnehmer und hier vor allem junge Generationen zunehmend nach der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit suchen und wie sich die fortschreitenden Optimierungsanstrengungen in großen Organisationen für diese juniore Zielgruppe auswirken, wird lauter und wichtiger und behandelt ebenso, warum Kostenreduktion und Gewinnmaximierung es für viele Mitarbeiter immer schwerer machen, die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit zu erkennen.
Work-Life-Balance unterstützt Sinnhaftigkeit
Seit mehreren Jahren setzen sich Fachleute mit dem Thema auseinander, dass junge Generationen anders zu motivieren seien als ältere Generationen. Die alten Anreizsysteme wirken nicht mehr. Diese jungen Menschen wollen die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit sehen, und natürlich haben sie auch scheinbar weniger Lust zu arbeiten, denn sie streben zusätzlich nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance. Das Phänomen der verlorengegangenen Sinnhaftigkeit beobachten wir allerdings auch bei Mitarbeitern, die sich mehrere Dekaden motiviert engagiert haben und jetzt zunehmend Ausstiegsszenarien suchen und dafür auch persönliche Einschnitte in Kauf nehmen.
Ist es so verwegen, den Anspruch zu haben, den Sinn des eigenen Tuns sehen zu wollen und neben der Arbeit auch noch ein erfülltes Privatleben zu haben? War es nicht schon immer so, dass es einfacher ist, sich mit vollem Elan für etwas einzusetzen, wenn man den Sinn des eigenen Tuns erkennt? Ist es nicht wünschenswert, dass Menschen neben einem erfüllten Berufsleben auch Zeit für Familie und Hobbys haben? Die Zeiten, in denen die Väter in den Familien eine Gastrolle spielten, sind zum Glück vorbei, aber die Umsetzung der angestrebten Ausgewogenheit zwischen Beruf und Privat sowie der Balance von Freiraum und Verantwortung bleibt an vielen Stellen weiterhin ein Problemfeld. Da leider weiterhin von vielen Managern die Meinung vertreten wird, dass der engagierte Mitarbeiter nicht nach 8 Stunden nach Hause geht und obendrein mobil 24/7 erreichbar sein sollte, stehen die Balance und die Sinnhaftigkeit vielerorts noch in Zweifel.
Optimierungsansätze schaffen neue Problemfelder
Die Frage ist nun, haben sich nur die Menschen verändert? Oder welche anderen Aspekte, die sich im Laufe der Jahre verändert haben, verstärken diese Effekte?
Fast alle Unternehmen haben im Laufe der letzten Jahre ihren Fokus daraufgesetzt, Prozesse und Abläufe zu optimieren.
Zentrales Ziel: Kosten reduzieren und Gewinne maximieren. Durch den Aufbau von Shared Service Organisationen und die Optimierung der Prozesse ist es gelungen, schneller, schlanker und gewinnbringender zu agieren. Durch den suchenden Blick auf vergleichende Benchmarks wägt man sich in der beruhigenden Sicherheit, dass die anderen es ja auch so machen.
Zunehmend entsteht jedoch der Eindruck, dass mit der sehr stringenten Umsetzung dieses Ansatzes auch Begleiterscheinungen eingekauft werden, die sich langfristig negativ auswirken, wenn sie ignoriert werden.
- Prozessoptimierungen können dazu führen, dass der Einzelne den Blick auf das große Ganze verliert.
- Durch starken Druck auf das Thema Effizienz geht der zwischenmenschliche Austausch zurück. Der Druck und die Zahlen von Burn-out und Depressionen in Unternehmen steigen.
- Hohe Fluktuation in Shared Service Organisationen bewirkt einen schleichenden Know-How Verlust.
- Der Kunde rückt zunehmend aus dem Blickfeld.Wie wirkt es sich aus, wenn immer weiter auf Optimierung gesetzt wird?
Wie in vielen anderen Situationen wird es auch in diesem Fall bei Übersteigerung des Vorgehens dazu führen, dass die Nachteile zunehmen. Jede Stärke kann durch Übertreibung zum Stolperstein werden.
Wie wirkt es sich aus, wenn immer weiter auf Optimierung gesetzt wird?
Wie in vielen anderen Situationen wird es auch in diesem Fall bei Übersteigerung des Vorgehens dazu führen, dass die Nachteile zunehmen. Jede Stärke kann durch Übertreibung zum Stolperstein werden.
- Durch die Optimierung der Prozesse und Abläufe wird es für den Einzelnen, der für einen Teilschritt zuständig ist, immer schwieriger nachzuvollziehen, warum das wichtig ist, was er macht. Die Zunahme an digitalisierten Prozessen macht es für den Mitarbeiter immer anspruchsvoller, die dahinterliegenden Zusammenhänge nachvollziehen und verstehen zu können. Mit dem Maß der steigenden Unkenntnis fühlt sich der Einzelne immer weniger verantwortlich.
- Die Zusammenarbeit in den Teams verschiebt sich immer mehr in den rein professionellen Austausch. Dieses Phänomen ist durch die Pandemie sicher noch beflügelt worden, wäre aber auch ohne sie vorhanden. Das Interesse der Kollegen aneinander und hierarchieübergreifend untereinander löst unterschiedliche Reaktionen aus. Für die einen muss Arbeit stringent und strukturiert von Privatthemen getrennt werden. Die anderen brauchen jedoch das Gefühl, auch mit ihren persönlichen Anliegen willkommen zu sein und gehört zu werden. Doch die Fraktion der Trennschärfe wird zunehmend stärker: Für den zwischenmenschlichen Austausch bleibt aufgrund der vielen Arbeit immer weniger Zeit. Insbesondere in der virtuellen Zusammenarbeit, wo ein Meeting auf das andere folgt, wird dem persönlichen Austausch wenig Raum gegeben. So bleibt das Zwischenmenschliche zunehmend auf der Strecke und der Einzelne fühlt sich immer mehr isoliert. Natürlich ist das nicht überall und immer so, aber die Tendenz ist spürbar, und sie nimmt zu, je mehr Organisationen ihren Fokus schwerpunktmäßig auf die Effizienzsteigerung setzen. Dies führt immer mehr zu Isolation und Depression bis Burnout.
- Der Ansatz, Standardtätigkeiten zusammenzufassen und in Niedriglohnländern in Shared Service Einheiten zu bündeln, hat sich durchgesetzt. Die Vorteile für die Unternehmen liegen auf der Hand. Prozesse können standardisiert und verschlankt werden, wodurch Redundanzen minimiert werden und ein einheitlicher Auftritt und Standard sichergestellt wird. In der Aufbauphase wird schnell deutlich, wie herausfordernd es ist, das induktive Wissen der langjährigen Mitarbeiter in geradlinige Prozesse zu gießen.
- Die Tatsache, dass in Shared-Service Einheiten fast immer auch eine sehr hohe Fluktuation gegeben ist, bewirkt, dass zunächst schleichend immer mehr Wissen verloren geht. Die Mitarbeiter müssen bzw. können die Zusammenhänge nicht mehr erkennen und halten sich eng an die Vorgaben, die sie erhalten. Oft dauert es lange, bis es auffällt, dass das Wissen nicht mehr vorhanden ist.
- Mitarbeiter, die die Gesamtzusammenhänge nicht verstehen, scheuen sich nicht davor, den Kunden von einem Ansprechpartner zum nächsten zu schicken und sich auch intern gegeneinander abzugrenzen. Die Gründe sind vielschichtig:
- Sie sind nicht der richtige Ansprechpartner.
- Sie wissen nicht, wer der richtige Ansprechpartner ist.
- Sie fühlen sich nicht dafür verantwortlich, dem Kunden zu helfen. Dies ist oft das eigentliche Problem.
- Gleichzeitig fehlt oft das Bewusstsein, dass dem Kunden, seinem Bedarf und der Erfüllung dieses Bedarfs in letzter Konsequenz zu verdanken ist, dass alle Mitarbeiter ihre Gehälter beziehen können.
Fast wirkt es so, als ob der Kunde immer mehr aus dem Fokus rückt. Er wird vielerorts genötigt, Stunden und Tage damit zu verbringen, den richtigen Ansprechpartner einer Organisation zu identifizieren. Jeder, der schon einmal ein Problem mit seinem Telefon- oder Stromanbieter hatte, weiß wieviel Zeit und Nerven es kostet, solche Probleme zu lösen. Der Kunde übernimmt im Self-Service zunehmend Aufgaben, die eigentlich in der Organisation angebunden sein sollten.
Hinzu kommt, dass durch die konsequente Orientierung an Kosten und Benchmarks Produkte immer beliebiger werden. Alleinstellungsmerkmale und spezifische Charakteristika von Produkten werden oft dem scheinbar „optimalen“ Produkt geopfert. Dadurch ist für den Kunden eigentlich nur noch der Preis der spürbare unterschiedsbildende Faktor. Die „Geiz ist geil“ Bewegung zeigt ganz deutlich, dass das dann den Preisdruck immer weiter anfeuert. Das geht so weit, dass unlautere Methoden eingesetzt werden (müssen), um dem Preisanspruch überhaupt noch gerecht werden zu können.
Das Verständnis für die Zusammenhänge und die Identifikation mit der Tätigkeit und vor allen Dingen die Frage, wie können wir für unsere Kunden wirklich einen Mehrwert erzeugen, sind wichtige Bestandteile für die empfundene Sinnhaftigkeit des eigenen beruflichen Tuns.
Optimierungen als Spielraum für wirksame Bindungen nutzen
Da es wichtig ist, Prozesse schlank zu halten und Doppelarbeiten zu vermeiden, darf dieser Fokus nicht aufgegeben werden. Allerdings sollte gerade jetzt auch verstärkt der Fokus darauf gesetzt werden, die Mitarbeiter strategisch stärker einzubinden. Es muss jedem Mitarbeiter klar sein, warum es wichtig ist, was er macht, und dass das, was er macht, einen wichtigen Beitrag zum Gesamtergebnis liefert. Viele Firmen haben im Laufe der Jahre emotionalisierende, strategische Visionen gegen wenig emotionalisierende Kennzahlen ausgetauscht. Anstatt „wir wollen schwere Krankheiten heilen“ – „wir wollen unseren EBIT um xy Prozent steigern“. Es ist aber gerade die emotionalisierende Komponente entscheidend dafür, dass Identifikation mit und Bindung an das Unternehmen stattfinden können.
- Bindung durch Einbindung: Mitarbeiter, die genau wissen, was ihre Verantwortung, Aufgaben und Entscheidungsspielräume sind, identifizieren sich stärker mit ihrer Tätigkeit als Mitarbeiter, die nicht genau wissen, was sie machen sollen, und vor allen Dingen, warum sie es machen sollen. Organisationen brauchen Führungskräfte, die die Führungsrolle ernst nehmen. Von zentraler Bedeutung ist es, das „Warum“ zu vermitteln, das „Was“ zu fixieren und das „Wie“ dem Mitarbeiter zu überlassen. Was heißt das:
- Warum: Führungskräfte vermitteln ihren Mitarbeitern, warum Arbeiten erledigt werden müssen und wie sie auf das übergeordnete Ziel der Firma einzahlen. So wird die Sinnhaftigkeit vermittelt.
- Was: Klare Delegation von Aufgaben. Wer was macht, muss eindeutig festgelegt werden. Fehlende Klarheit verringert das Verantwortungsbewusstsein.
- Wie: Dem Mitarbeiter wird entsprechend seiner Fähigkeiten Gestaltungsspielraum für die Umsetzung eingeräumt. Dadurch wird die Motivation gesteigert.
- Steigerung der Kundenorientierung: Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Unternehmensgröße von 1500 Mitarbeitern ausreicht, damit sich alle Mitarbeiter ausschließlich mit internen Prozessen beschäftigt halten können. Die Gefahr ist groß, dass durch den Fokus auf die interne Prozessoptimierung der Blick immer weiter vom Kunden wegführt.
Anstatt auf Benchmarks zu schauen, sollte wieder vermehrt darauf geachtet werden, warum der Kunde beim Unternehmen kauft und nicht bei der Konkurrenz. Was macht unsere Organisation spezifisch? Was ist für den Kunden wichtig? Anstatt zu fragen „können wir ein Produkt billiger / schneller anbieten als die Konkurrenz“, sollte wieder viel mehr gefragt werden, „was ist dem Kunden wichtig, so dass es ihm wert ist, dafür einen angemessenen Preis zu zahlen?“ Wenn das wieder allen bewusst ist, wird nicht mehr der Preis der zentrale Entscheidungsgrund sein. - Stärkung des Teamgefühls und der gemeinsamen strategischen Ausrichtung: Ein wichtiger Ansatz ist es, sich wieder mehr Zeit dafür zu nehmen, den Mitarbeitern in Teams zu vermitteln, was die Firma erreichen möchte, wer die Kunden sind, warum sie bei genau dieser Organisation einkaufen und welchen Beitrag das Team und der Einzelne leisten kann und muss. Das bedeutet auch, dass sich Führungskräfte und Mitarbeiter darüber austauschen und ein gemeinsames Verständnis entwickeln müssen, wie sich das Team aufstellen sollte, um den Anforderungen gerecht werden zu können. Teams, die verstehen, wie sie gemeinsam die übergeordneten Ziele erreichen können, entwickeln ein Wir-Gefühl. Das gestärkte Wir-Gefühl ist dabei sehr entscheidend. Weg von „die da oben“ und „wir an der Basis“ oder Bereich x gegen Bereich y. Haben alle verstanden, was das gemeinsame Ziel ist und wie die Verantwortungen verteilt sind, kann im Sinne des Kunden Hand in Hand gearbeitet werden.
Lösungsansätze, die an der Basis wirken
Regelmäßige Strategie- und Teamworkshops helfen die gemeinsame Ausrichtung sicherzustellen
- Was ist unserem Kunden wichtig? Worin machen wir im Vergleich zur Konkurrenz einen Unterschied?
- Was wollen wir erreichen?
- Wie wollen wir es erreichen?
- Wer ist wofür verantwortlich?
Wenn jeder Mitarbeiter diese Fragen beantworten und in seinem Handeln mit Leben füllen kann, reduzieren sich die Fragen nach der Sinnhaftigkeit und Bindungskraft im Unternehmen wächst und führt zu stärker geteilter Verantwortung für das gemeinsame Ziel.