Assessment, Audit und Appraisal online – das geht wirklich
18.06.2020Carmen Barmbichler
DownloadSeit einiger Zeit sind die Themen Digitalisierung und agiles Arbeiten in aller Munde. In vielen Bereichen wurde dennoch sehr stark an den alten Methoden festgehalten. Als häufiges Kundenargument begegnet uns, „es ist schon besser, wenn man sich persönlich gegenübersitzt“.
Die Corona-Krise macht nun deutlich, was alles funktioniert, wenn man sich nicht in einem physischen Raum vor Ort persönlich treffen kann. Zudem zeigt sie auf, dass die Virtualität auch in der Personal- und Führungsdiagnostik mit Qualitäten punkten kann.
Unser „Corona-Interventionspflaster“ zeigt auf, welche Optionen wichtige Personalentwicklungsthemen in Zeiten eingeschränkter Kontaktmöglichkeiten umzusetzen.
Heute fokussieren wir darauf, Assessment-Verfahren mit virtueller Unterstützung umzusetzen, denn unsere Erfahrung zeigt, wie wirksam und realitätsnah sich Assessment-Verfahren online durchführen lassen.
Pro und Contra Live und Online
Auch wenn die Online-Version eines Assessments aus Kundensicht noch vermeintliche Einschränkungen aufweist und vor allem neue Methoden und Umdenken erfordert, bietet sie ebenso viele eindeutige Vorteile gegenüber der Live-Version:
Pro Live
Die Beobachtungsmöglichkeiten sind bislang in der Live-Variante umfassender, weil sowohl unsere Teilnehmer, die Beobachter und die meisten Diagnostiker an sie gewöhnt sind. Die Kandidaten fühlen sich aktuell im Live-Verfahren noch weniger irritiert, wenn das Assessment nicht über einen Bildschirm läuft.
Diese Fremdheit verliert sich mehr und mehr, weil für alle Beteiligten der Umgang mit diesen Medien zunehmend vertrauter wird. Vielmehr entdecken sie sogar, wie sich Vertrauen und eine gute Arbeitsbeziehung auf anderen Ebenen als über den Händedruck und ein unmittelbares Gegenüber aufbauen lässt.
Es ist jedoch auch nicht abzusprechen, dass man neben der Mimik in dem eingeschränkten Radius eines Kamerabilds auch die Körpersprache und den Umgang mit anderen Interakteuren natürlicher beobachten kann, wenn man sich persönlich gegenübersitzt. Gleichzeitig ist jedes Assessmentverfahren immer eine Art „Laborsituation“.
Pro Online
Die virtuellen Umsetzungsoptionen sind von der Beobachtungsseite an manchen Stellen sogar noch intensiver. Die Mimik ist wesentlich präsenter, als in jeder normalen Begegnung zwischen Menschen. Darüber hinaus liefert das Online-Assessment die Möglichkeit, in einer Realsituation die virtuelle Kompetenz und Überzeugungskraft von Mitarbeitern zu erfassen. Ein Aspekt, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, da auf absehbare Zeit die Arbeitswelt virtueller werden wird.
Unsere Erfahrung ist, dass wir trotz der Annahme, nur im klassischen AC Setting 100% diagnostischen Materials zu erfassen, ebenso im virtuellen Setting zu einem valide vergleichbaren Ergebnis gelangen: Wir erfassen jeweils 100%, nur eben mit einer etwas unterschiedlich gelagerten Gewichtung, unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Beurteilungsansätzen und durch eine andere Bandbreite von Informationen.
Die Corona-bedingten oder andere Reise- und Umsetzungseinschränkungen mögen sich erledigen. Doch der Entwicklungsschub in die Virtualität bringt neue Argumente und Optionen mit sich.
Live und Online kombiniert – Hybride Assessments
Hybride Assessment-Formen entwickeln sich, die völlig neue Vorteile mit sich bringen und zur Entwicklung der Teilnehmer intensiv beitragen und diese beobachtbar machen. Gleichzeitig wird ein Auswahl-Assessment durch die hybride Gestaltung in seiner Aussage vertieft, in der Entscheidung treffsicherer und in der Argumentation noch nachvollziehbarer. Da Covid-19 wie im Frühjahr erneut Kontakteinschränkungen mit sich bringen kann, macht es Sinn, sich mit Online- und Hybrid-Varianten ernsthaft auseinanderzusetzen. Sie entsprechen einer neuen Arbeitsweise und Diagnostikform, die in unsere neue Normalität passt, ihr gerecht wird und sie qualitativ gut auffängt.
Die aktuelle Situation verlangt von allen Beteiligten die Bewältigung ungeahnter neuer Anforderungen. Der uns beanspruchende Veränderungsprozess ist der wohl umfassendste und eruptivste der lebenden Generationen. Gerade jetzt ist es wichtig, auf Methoden zu setzen, die die aktuelle und sich weiter abbildende Realität gut berücksichtigen.
Der Praxistest
Was bedeutet die virtuelle Umsetzung nun für Assessment Verfahren?
Wir sehen in unserer Praxis, dass virtuelle Assessment-Verfahren sehr gute Ergebnisse liefern. Es wäre ein Fehler, dieses zentrale Instrument der Mitarbeiterentwicklung und -bindung auszusetzen, bis sich eventuell ein Normalzustand einstellt, der der Zeit vor der Krise entspricht. Im Gegenteil: diese ungewohnte Phase löst viele Unsicherheiten bei Mitarbeitern und Führungskräften aus, und es ist zudem von zentraler Bedeutung, die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren, zu binden und zu entwickeln, um möglichst schnell eine neue, sichere Normalität herzustellen.
Wir empfehlen daher:
- Gehen Sie in die Umsetzung und setzen Sie keine Assessment Center, Development Center und Appraisals bis nach der Krise aus.
- Führungskräfte wie Teilnehmer lernen und gewinnen durch diese neuen Formate. Die Zeiten mit eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten sind vergleichbar mit Reise- und anderen Ressourcenbeschränkungen.
- Verhindern Sie das Vakuum und den Schaden, den eine Zwangspause in der Mitarbeiterentwicklung verursachen kann. Vielmehr gehört sie jetzt auf Ihre Prioritätenliste und damit auf strategische Implikationen hin betrachtet und ebenso fokussiert wie entschieden verfolgt.
- Gerade jetzt ist es wichtig, die richtigen Mitarbeiter mit den richtigen Potenzialen in den passenden Positionen zu platzieren.
- Ebenso ist es jetzt während der kontakterschwerten Phase an der Zeit, dass Unternehmen Einstellungsprozesse weiterverfolgen, um die besten Bewerber auszuwählen und sie zu binden.
Worauf Sie achten sollten:
- Das Übungssetting wird für jeden Auftrag auf die Position und ihre Herausforderungen angepasst. Neu ist, dass es zusätzlich auf die virtuellen Umsetzungsmöglichkeiten ausgerichtet wird und auch die zukünftig vermehrt geforderte Virtuality der Teilnehmer als Kompetenz beinhaltet.
- Die Teilnehmer bearbeiten genauso wie in der Live-Version Vorbereitungsaufgaben. Dadurch werden bereits im Vorfeld Kontakt und Vertrauen aufgebaut. Dieser Aspekt ist bei der virtuellen Umsetzung besonders relevant. Die unterschiedlichen Kontaktpunkte bauen das Vertrauensverhältnis auf.
- Die Durchführung sollte sowohl beim Einzel-Appraisal wie auch beim Mehrpersonen-Assessment immer mit mehreren Beratern erfolgen. So sind die unterschiedlichen Formate, Rollen und Aufgaben reibungslos sichergestellt. Der Kontakt mit dem Teilnehmer bleibt durchgehend bestehen.
- Für die erfolgreiche Umsetzung ist die einwandfrei funktionierende Technik wichtig. Zentral relevant sind eine stabile Verbindung und eine technische Plattform, die von allen Beteiligten beherrschbar ist und deren Bewältigung im Assessment-Setup berücksichtigt wird. Hier sollte unnötige Komplexitätserhöhung vermieden werden.
- Im Umgang mit Störungen erfordert die virtuelle Umsetzung Flexibilität, Resilienz und einen klaren Fokus auf der Berater- und Teilnehmerseite. Störungen haben in diesem Setting eine stärkere Wirkung als in den Live-Durchführungen eines geschützten Seminarraums und sind weniger kontrollierbar. Diese Features sind im modernen Führungsalltag ebenso relevant und wirken fast wie ein Teil des Assessments.
Was bringt die virtuelle Umsetzung - Zusammenfassung:
1. Das virtuelle Setting und genauso Hybridformen, die virtuelle Elemente mit live-Elementen kombinieren, erfassen neben der Momentaufnahme auch die Lernfähigkeit des Teilnehmers: Wenn das Verfahren statt an einem einzigen Tag innerhalb mehrerer Tage mittels kleinerer, sinnvoller Einheiten umgesetzt wird, passen diese gut in die Kalender aller Beteiligten und zeigen, wie der Teilnehmer mit dem Entwicklungsfeedback weiter gearbeitet hat.
2. Die Integration von Testverfahren ist in der virtuellen Version noch relevanter, als in der Live-Version. Die Übungsvielfalt des Live- wie des Online-Settings ist reich und vergleichbar. Dennoch weiten Tests die vorhandenen Beobachtungsanker, auf denen die Beurteilung fußt, aus. Tests liefern neben Aussagen über beobachtbares Verhalten relevante Zusatzinformationen zu persönlichen Motiven, Treibern und Blockaden.
3. Die virtuelle Umsetzung bietet auf der Aufwandsseite deutliche Vorteile gegenüber der Life-Version: Unnötige Reiseaufwände und die zum Teil kostspieligen Raumbuchungen entfallen.
Wir sind uns sicher, dass diese Vorteile und die Möglichkeit, Verfahren weltweit nach denselben Standards umzusetzen, über jede Krise hinaus von Bedeutung sein werden. In erster Linie steht mehr denn je im Fokus, was der Anlass und das Ergebnis eines Assessment oder Development Centers oder Appraisals sein soll. Kontaktverbote und wirtschaftliche Neuorientierungen sind eindeutig kein Grund, keine Appraisals oder Potenzialanalysen durchzuführen. Vielmehr sind alle Assessments wichtige Orientierungspunkte für Teilnehmer und Bewerber, für die Unternehmensgestalter und internen Entscheider.
War die Kontakteinschränkung die Einladung, den neuen Weg auf seine erkennbaren Qualitäten und seine offenbar weiteren Potenziale zu untersuchen, sehen wir längst: Sie sind vorhanden.