Sinnvoller Umgang mit der Ressource Zeit
Zu viel auf dem Tisch? Keine Zeit, Prioritäten zu setzen, Entscheidungen zu treffen und irrelevante Tätigkeiten zu vermeiden? Ein Teufelskreis mit Auswegen
23.01.2019Carmen Barmbichler
DownloadVom sinnvollen Umgang mit unserer wertvollsten Ressource - Zeit
Es ist allgegenwärtig, der moderne Manager hat keine Zeit mehr. Viele beklagen sich über die extern bestimmte Getriebenheit. Die wohl am meisten gehörte Antwort auf Anfragen, egal ob privat oder beruflich, ist "Oh, das würde ich ja schrecklich gerne machen, aber ich habe überhaupt keine Zeit." Muss das wirklich so sein? Was sind die Hebel, den technologischen Fortschritt so zu nutzen, dass wir tatsächlich wieder mehr Zeit gewinnen, uns auf das wirklich Wichtige zu konzentrieren?
Der Nutzen und die Verführung der neuen Technologien
Schauen wir uns um, stellen wir rasch fest, dass dem Menschen in den modernen Industriestaaten noch nie zuvor so viele Maschinen und Hilfsmittel zur Verfügung standen, die ihm Arbeiten abnehmen, wie heute. Die vermeintliche Intention ist zum einen natürlich die Effizienzsteigerung zum anderen aber auch, dem Menschen das Leben zu erleichtern. Stellen wir uns ehrlich der Realität, drängt sich die Frage auf, was wirklich beabsichtigt ist oder ob es an der Fähigkeit fehlt, mit den Erleichterungen sinnvoll umzugehen.
Hier nur ein paar kleine Beispiele aus dem privaten und beruflichen Alltag:
- Wir schreiben schon lange keine Briefe mehr mit Durchschlagpapier und Tipp-Ex auf der Schreibmaschine.
- Dank neuer medialer Optionen müssen wir nicht mehr um die halbe Welt reisen, um mit Kollegen aus anderen Kontinenten zusammenarbeiten zu können.
- Zunehmend werden Prozesse auf Self-Service umgestellt. So kann der einzelne Mitarbeiter ganz einfach Dinge an seinem Schreibtisch selbst organisieren ohne sich an eine Fachabteilung zu wenden, um auf die Bearbeitung zu warten.
- Firmen stellen immer mehr auf Automatisierung um, damit schwere, körperliche Arbeiten und aufwendige administrative Tätigkeiten durch Maschinen erledigt werden können.
- Wir müssen nicht mehr in ein Reisebüro gehen, um unsere Reisen vom Fachmann planen zu lassen.
- Einkäufe kann jeder, der es mag, bequem von zuhause erledigen. Alles wird bis in die eigenen vier Wände geliefert.
- Wäsche wird zum Glück schon sehr lange nicht mehr von Hand gewaschen.
Jedes dieser Beispiele alleine betrachtet – und Sie können diese Liste beliebig weiterführen - wird als Entlastung gesehen. Interessant ist nur, dass sich trotz dieser Erleichterungen zunehmend eine allgemeine Form der Überlastung abzeichnet. Der moderne Mensch hat subjektiv empfunden weniger Zeit und Muße als frühere Generationen.
Was ist da passiert, und wie können wir diese paradoxe Situation ändern?
Es fällt auf, dass auf der einen Seite Aufgaben entfallen, die früher mit viel Aufwand manuell erledigt werden mussten. Soweit so gut. Es wird aber auch deutlich, dass die technologischen Hilfsmittel eine Verführung darstellen. Die gewonnene Zeit wird teilweise mit neuen, vorher unbekannten Tätigkeiten gefüllt oder die Möglichkeiten werden so genutzt, dass sie uns letztendlich eher Zeit stehlen, statt dass sie uns objektiv mehr Zeit verschaffen.
An zwei der oben aufgeführten Beispiele möchte ich das kurz veranschaulichen:
Beispiel 1: E-Mail ersetzt Brief
Vorteil: Schriftliche Nachrichten sind viel schneller erstellt und dem Empfänger zugestellt als in der Vergangenheit.
Nachteil: Die Verteilung schriftlicher Nachrichten ist so einfach geworden, dass immer mehr Personen als Empfänger in die schriftliche Kommunikation eingebunden werden.
Learnings mit Tücken
- Viele Menschen erhalten inzwischen täglich so viele Mails, dass sie nicht mehr in der Lage sind, sie zu lesen.
- Informationen werden zum Teil unbedacht in einem schier nicht enden wollenden Hin-und-Her und leider oft aneinander vorbei kommuniziert.
- Jeder entwickelt seine individuelle Strategie, der Masse an Informationen Herr zu werden. Der eine liest nichts mehr, wo er auf cc gesetzt ist. Der andere liest keine Mails, bei denen die Betreffzeile nicht aussagekräftig ist. Wieder ein anderer liest Mails erst ab dem 2ten Reminder usw. Natürlich gibt es noch die Gruppe Menschen, die wirklich bestrebt ist, alle Mails zu lesen und zu bearbeiten. Dieser Einsatz geht aber oft zu Lasten des Einzelnen.
Das fatale Resultat:
Wir erzeugen zunehmend eine Art Pseudokommunikation. Wir können nicht mehr sicherstellen, dass die Person, die eine Information wirklich benötigt, diese auch tatsächlich liest. Außerdem treiben wir uns in eine bisher unbekannte Form der Atemlosigkeit. Wir werden in unserer Arbeit permanent von neuen Informationen unterbrochen und haben immer das Gefühl, dass wir etwas übersehen haben.
Lösungsansätze in unserer Hand:
- Einführung und Einhaltung stringenter E-Mail Regeln
- Limitierung der Anzahl der E-Mails, die jeder Mitarbeiter pro Tag versenden darf
- Steigerung der Verantwortung für die Reduktion der E-Mail Flut auf Seiten des Senders
- Stärkung des Selbstbewusstseins, sich nicht permanent durch möglichst große Verteiler abzusichern
Beispiel 2: Videokonferenzen ersetzen Meetings
Vorteil: Abgesehen von erschwerenden Rahmenbedingungen, die durch zeitzonenbedingte Zeitverschiebungen entstehen, ist es heute möglich, quasi ad hoc mit Kollegen weltweit Meetings abzuhalten, anstatt wie in der Vergangenheit, kosten- und zeiteffektiv anreisen zu müssen und Meetings lange und aufwendig planen und organisieren zu müssen.
Nachteil: Da der offensichtliche, organisatorische Aufwand drastisch minimiert worden ist, finden immer mehr Meetings mit immer mehr Teilnehmern statt. Außerdem sind sie oft leider insgesamt nicht mehr effektiv geplant. Vielleicht ist das ein Nebeneffekt, weil Meetings heute relativ leicht aufzusetzen sind.
Learnings und ihre Konsequenzen
- Mitarbeiter eilen von Meeting zu Meeting - ob live oder virtuell
- Durchführung von immer mehr Meetings mit größeren Personengruppen
- Meetings werden zum Teil schlecht vorbereitet - Agenda und Ziel sind zum Teil unklar; Entscheidungen können in dem Setting nicht getroffen werden.
- Enge Taktung der Meetings führt zu Verspätungen der Teilnehmer
- Aufgrund der hohen Anzahl der Meetings arbeiten Mitarbeiter zum Teil in den Meetings an anderen Themen. Das geht besonders gut bei virtuellen Meetings.
Das fatale Resultat:
Wieder erwischt uns die Pseudokommunikation, weil Teilnehmer zu spät kommen oder früher zum nächsten Termin müssen, und nicht zuletzt, weil leider immer noch viel zu viele von uns parallel am Smartphone und Laptop andere Themen bearbeiten. Da der Personenkreis auf der einen Seite oft zu groß ist oder nicht die richtigen Teilnehmer am Tisch sitzen, die Entscheidungen treffen können, verlaufen sich viele Meetings in endlosen Diskussionen, ohne dass ein Beschluss gefasst oder ein Aktionsplan definiert wird. Viele Meetings führen zu Folgeterminen, in denen die offenen Punkte aus dem vorausgegangenen Meeting geklärt werden sollen.
Führen wir uns die Kosten für ein solches Meeting vor Augen, müssen wir uns fragen, ob der Output der durchgeführten Meetings in ihrer Quantität wirtschaftlich wirklich sinnvoll ist.
Beispielrechnung: Kostenaufwand für Meetings
Bruttogehalt der Teilnehmer: 250 Arbeitstage pro Jahr: 8 Stunden x Dauer des Meetings
Ein einstündiges Meeting mit 10 Teilnehmern, die ein durchschnittliches Jahresgehalt von € 70.000 bekommen, kostet ohne die Berücksichtigung von Zusatzvergütungen oder Urlaubstagen € 350€ pro Stunde. Lohnnebenkosten oder Opportunitätskosten lassen wir außen vor.
Lösungsansätze in unserer Hand:
- Ausschließliche Einbindung von Personen, die an der Umsetzung eines Themas beteiligt sind
- Courage des einzelnen stärken, seine Teilnahme an einem Meeting abzusagen, wenn es keine Agenda gibt und unklar ist, was das Ziel und die eigene Rolle sind
- Einführung und Einhaltung stringenter Meeting Regeln
- Klare Verantwortlichkeiten für die in den Prozess eingebundenen Personen
- Meetings zum vereinbarten Zeitpunkt starten und beenden
- Agenda für das Meeting mit Zeiten festlegen und einhalten
- Eine Ressourcen-Kalkulation für Meetings einführen - was kostet dieses Meeting in der Stunde?
Wege aus dem Teufelskreis
Die beiden Beispiele machen deutlich, dass durch die Tatsache, dass Dinge einfacher in der Handhabung werden, das Risiko, mehr vom Selben zu machen und mehr Ressourcen als notwendig zu binden, markant steigt. Was beide Beispiele gemeinsam haben, ist, dass der Sender oder Einladende viel mehr darauf achten muss, wen er wirklich einbinden sollte. Das bedeutet, es braucht mehr Mut, Verteiler klein zu halten und lieber nur die richtigen Personen einzubinden. Auch sollte er aktiv in die Reflexion dazu gehen und seine Zielsetzung hinterfragen. Es macht fast den Anschein, als ob der Mut zur Entscheidung und zur klaren Positionierung vom ach so einfachen „lieber mehr als weniger Personen einbinden" überholt worden ist.
Es gibt tatsächlich Unternehmen, die den Mut haben vorzugeben, dass Mitarbeiter nicht mehr als 20 Mails am Tag verschicken dürfen. Wahrscheinlich würde der kritische Blick auf die Frage „Was ist in einer Situation der wirklich effiziente und effektive Weg eine Nachricht an die richtigen Personen zu bringen?“ die Informationsflut schon deutlich eindämmen.
Strategische Ansätze
Das Thema Zeit sollte einen deutlich höheren strategischen Wert bekommen. Der Fokus liegt oft nur auf der Verschlankung von Teams aufgrund optimierter Prozesse und Strukturen. Der Blick darauf, welcher zeitliche Aufwand für welches Thema an welcher Stelle zusätzlich erzeugt wird, ist in der Planung nicht im Fokus, hätte aber immenses Potenzial, die Effizienz zu steigern.
Beispiel: In einer Fachabteilung werden 1-2 Stellen reduziert, weil Teile der Tätigkeiten automatisiert und in ein Self-Service-System umgewandelt werden. In diesem Fall fokussieren die Entscheider in erster Linie auf die Anschaffungskosten des notwendigen Tools und die Einsparung der Personalkosten in der Fachabteilung. Rechnen wir jedoch die Personalkosten dagegen, die dadurch entstehen, dass thematische Laien sich mit einem neuen Tool beschäftigen müssen, fällt die Entscheidung eventuell ganz anders aus. Ganz abgesehen davon, dass es immer aufwendiger ist, nur ab und zu mit einem Tool zu arbeiten, als wenn man es regelmäßig nutzt.
Unternehmen sind stets darauf aus, Prozesse zu optimieren. Aber Hand aufs Herz: Hat jemals ein Controller ausgerechnet, wie viel produktive Arbeitszeit pro Jahr faktisch ungesehen verloren geht? Wie viel Zeit und Geld kostet es, dass Mitarbeiter im Self-Service Teilprozesse selbst administrieren, unnötige Mails lesen und zu viele Mitarbeiter in Meetings sitzen, die für sich selbst nicht nachvollziehen können, warum sie eingeladen worden sind?
Sinnvolle Hebel auf mehreren Ebenen
- Konsequentes Cost Controlling zur Erfassung der bisher nicht sichtbaren Aufwände
- Berücksichtigung der unsichtbaren Aufwandsverlagerungen bereits in der Planung von Projekten: Wo werden Aufwände mit welchen Kosten reduziert, wo aber parallel andere Aufwände aufgebaut?
- Mitarbeiter dazu motivieren, sich im Sinne der Sache klarer zu deklarieren und Entscheidungen zu treffen, wer wirklich in Themen eingebunden werden muss
- Entscheidungsfähigkeit in Teams erhöhen
- Klare Regeln für die interne Kommunikation und Meetings einführen
Fazit
Die technologische Entwicklung wird weiter fortschreiten, was ja auch gut ist. Wir wollen einen fokussierten Blick auf unseren Umgang mit der Zeit entwickeln. Das ist der eigentliche Hebel, um sich aufgrund der Vereinfachungen nicht verführen zu lassen, noch mehr Dinge aufzugreifen, die keinen Mehrwert erzeugen und so die technologisch gewonnene Zeit unnötig vergeuden. Denn die Zeit, die jeder Mensch zur Verfügung hat, ist limitiert. Lebenszeit kann man nicht sparen, ansammeln und für schlechte Zeiten sichern. Der verantwortungsbewusste Umgang mit der eigenen Zeit und der Zeit der anderen im Sinne der Sache ist das, was es zu fokussieren gilt, denn so lässt sich wirklich Effizienz steigern und die Energie auf das Wesentliche konzentrieren.