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Was heißt hier eigentlich „Karriere“?

Der an einer Führungsfrage aufgehängte Coaching-Auftrag zeigt seine Wurzeln und führt zu breiterem Wachstum als nur zu einer Lösung.

11.08.2015Petra Schulte

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Coaching ist eine wunderschöne, intensive und sehr inspirierende Arbeit, die ich seit vielen Jahren sehr liebe und der ich mich angesichts anderer Prioritäten recht selten in ihrer vollen Qualität hingeben darf.

Wikipedia: Der Begriff Coaching stammt vom englischen „to coach“ (betreuen, trainieren) und bezeichnet eine Vielzahl von Trainings- und Beratungskonzepten zur Entwicklung und Umsetzung persönlicher oder beruflicher Ziele und der dazu notwendigen Kompetenzen. Beispiele sind Führungs-, Umsetzungs- und Selbstmanagementkompetenzen.

Wikipedia liefert die neutral gehaltene Definition von Coaching. Leser und Autoren von Christopher Rauens Coaching-Magazin finden hier viele interessante Coaching-Beschreibungen und -Varianten.

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Coaching-Techniken, Tipps und Tricks sowie theoretische Auseinandersetzung mit bestimmten Coachingstilen oder Klientenzielgruppen? Das Coaching-Magazin und darüberhinaus unendliche viele Bücher bieten sehr wertvolle Anleitungen, Übungen, philosophische Diskurse, Fallbeispiele.

Rauen bietet gleich auf seiner Startseite eine Top-100-Bücherliste zu sehr vielen Subkategorien und Varianten des Coaching. Zwei meiner Favoriten liste ich am Ende dieses Blog.

Das hier von mir thematisierte Coaching bezieht sich auf klassisches Business Coaching im gehobenen Management und dabei speziell auf die Frage meiner Klienten „Wann ist meine Karriere eine echte Lebenskarriere?“

Interessiert Sie wie mich „Was heißt im Coaching eigentlich ‚Karriere’?“, teile ich gern mit Ihnen die Beobachtung eines Phänomens, das mich seit Jahren beschäftigt. Ich bin immer wieder tief berührt, inhaltlich fasziniert und von der Ernsthaftigkeit dieses Anliegens stark herausfordert: Viele meiner Gesprächspartner suchen mitten in ihrem eigenen beruflichen Erfolg nach ihrer wirklichen Berufung und nach ihrem tiefergehenden Lebenssinn.

Wieso fassen meine Coachingklienten am liebsten die ganz heißen Kartoffeln an?

Selten suchen meine Gesprächspartner nach reiner Leistungs- oder Erfolgssteigerung, Arbeitstechniken oder konkreten Lösungen zu anstehenden Arbeitsfragen. Sie stehen vor Fragen des persönlichen Wandels, tiefgreifender Reflexion und auch weitreichenden Zweifels – weniger an sich und ihren Fähigkeiten. Ihre Frage zielt auf ihre Richtung und die Richtigkeit ihres bisherigen Weges ab.

Formulierter Bedarf ? Tatsächlich verspürter Bedarf!

Die Eingangsanliegen der Coachingwilligen sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst, die sie artikulieren. Ein Coach darf über die Vielfalt und das breite Spektrum an Fragestellungen dankbar sein.

Der anfangs formulierte Bedarf eines Klienten ist selten sein tatsächlich verspürter Bedarf. Dabei spielt es kaum eine Rolle, wie es zu der Coachingbeziehung gekommen ist. Mancher Auftrag wird durch Dritte initiiert, weil sie auf ein scheinbares Defizit beim Klienten reagieren. Wieder andere Coachings kommen durch den Klienten selbst zustande. Ob es nun wirklich um scheinbar zu bearbeitende Defizite oder um die zu hebenden Potenziale des Klienten geht: Meist trägt ein Coachee den tieferen Wunsch in sich, mehr über sich und seine eigentliche Widmung, Mission oder Lebensrichtung zu ergründen. Ergründen – dieses Wort wähle ich, weil es weniger darum geht, nur etwas über sich zu hören oder zu erfahren. Vielmehr geht es um die intensive Arbeit an der eigenen Geschichte und von dort aus an der eigenen Zukunft.

In der Vertraulichkeit des Einzelcoaching berühren meine Gesprächspartner bald ihre Lebensthemen. Aus dem Business Kontext des Coaching heraus heißen die zentralen Themen Lebenskarriere, Karrierevarianten und Karriereinterpretation.

Auffälligkeiten, die sich wiederholen:

  1. Menschen mögen konkrete Detailanliegen haben, doch diese fußen oft auf großen Lebensfragen.
  2. Karrierefragen münden überwiegend in Wertefragen und sind damit ausgesprochen grundsätzlich.
  3. Wer sich mit seinem Potenzial und seiner Entwicklung auseinander setzt, landet früher oder später vor der Frage nach der Sinnstiftung seines Lebens.
  4. Die meisten Karriere- und Sinnbefrager suchen nach wirklicher Auseinandersetzung und wollen am wenigstens die simple Zustimmung. Stattdessen ringen sie um einen intensiven, schöpferischen Diskurs.
  5. Karriere ist nicht gleich Karriere: Auch Personalexperten sprechen seit vielen Jahren von der inneren und der äußeren Karriere, um hier nur 2 Dimensionen zu nennen.

Muss Coaching wirklich gleich ans Eingemachte gehen?

Coachinganliegen wetteifern nicht um Bedeutung, Wichtigkeit oder Relevanz. Sie entstehen in unseren Gesprächspartnern über einen langen Zeitraum hinweg. Kernthemen verschieben sich in ihrem Erscheinungsbild und werden in unterschiedlichen Lebensphasen umformuliert. Sie drängen sich immer wieder in die Aufmerksamkeit des Klienten und suchen sich einen Weg an die Oberfläche und in seine Arbeitswelt, wenn sie nicht bearbeitet werden.

Wichtig für die gemeinsame Arbeit an diesen sehr persönlichen Themenstellungen ist die gute Chemie zwischen Klient und Coach als Vertrauensaufbau und Gesprächsvoraussetzung.

Gibt es für jedes Coachinganliegen Lösungen?

Ich weiß es wirklich nicht. Für viele Coachinganliegen gibt es gute Arbeitstechniken. Für einige gibt es gute alternative Gesprächspartner. Ein Elternteil, ein reifer Mentor, oder Profis anderer Berufsfelder wie Therapeuten, Suchtberater, die beste Freundin oder der Vorgesetzte haben aufgrund ihrer Lebenserfahrung mitunter raschere, gleichermaßen wirksame Lösungen mit Best Practice Qualität. Ihre Wirksamkeit auf die Entwicklung des Klienten kann ebenso stärkend und nachhaltig sein wie die eines Begleitungs- und Beratungsprofis.

Wenn Klienten allerdings mit der Frage nach der großen Karriere kommen, wollen sie die oben genannten Gesprächspartner oft nicht. Die Partner aus dem privaten Umfeld sind ihnen vielleicht zu nah, zu persönlich betroffen und nicht weitsichtig genug. Die Profis aus angrenzenden Terrains wie Therapeuten, Ärzte oder Gesundheitsberater decken aus ihrer Sicht wiederum den ganzheitlichen Business Kontext nicht gut genug ab.

Lassen sich die großen Fragen nach der Lebenskarriere in einer zeitlich begrenzten Beratung klären?

Nach meiner Erfahrung „ja“. Genau dort – in diesem zeitlich begrenzten Raum – findet eine Entwicklungsschleife statt, die sich langsam an die Oberfläche arbeitet. Die zeitliche Begrenzung hilft hier fokussieren, denn die Auseinandersetzung läuft im Hintergrund sehr viel länger weiter. Hat der Klient für sich Impulse und Reflexionsanregungen für einen nächsten Reifungsschritt erfahren, löst sich sein Anliegen gern nach wenigen Monaten von der Oberfläche und macht anderen Prioritäten wieder Platz.

Das Thema Lebenskarriere bleibt bestehen, bahnt sich aber seinen Weg – mal in der aktuellen Beruflichkeit, mal in einem ersten Umbauschritt.

Interessant und für beide Seiten lösend wirkt dabei, dass aus einer Karrierefrage kein Langzeitauftrag entsteht. Der Klient folgt der Spur dieser Frage schon recht lange und ist offen für erste Umsetzungsschritte. Damit erhöhen sich seine Schaffensfreude und sein Handlungsmut. Geht er in die Umsetzung und generiert erste Erfolge, bleibt die Karrierefrage zwar generell bestehen, doch sie beantwortet sich in angemessener Weise fürs Erste. Fürs Erste heißt: Es gibt weder ein einfaches Aha-Erlebnis noch eine finale „Er“-Lösung. Die Frage nach der ganz persönlichen Lebenskarriere beantwortet sich nicht mit einem klugen Satz oder einer mit Knall und Trommelwirbel eingeleiteten Erkenntnis.

Da die großen Lebensfragen den Klienten grundsätzlich begleiten, haben sie immer wieder neue, zeit- und situationsspezifische Relevanz.

Coaching ist arbeitskontextbezogen

Coaching wird meist vom Arbeitgeber finanziert. Ist das der richtige Rahmen für diese grundsätzlichen Lebensfragen? Aus meiner Perspektive ja, unbedingt.

Lebensfragen beschäftigen den Klienten. Sie inspirieren ihn besonders intensiv und lähmen ihn mitunter nachhaltig. Sie beeinflussen seine Konzentration, seine Entscheidungen, seine Leistungsfähigkeit und seine Belastbarkeit. Wird der Frage nach der „richtigen“ Lebenskarriere kein Raum gegeben, findet sie einen anderen Weg in seine Aufmerksamkeit. Fühlt sich der Klient mit seinem Anliegen von einem Coach ernstgenommen, gehört und gesehen, kann er das Ringen um Antworten in einen gemeinsamen Prozess einbringen.

Parallel dazu löst er konkrete, operative und auch strategische Arbeitsanliegen. Sie gehen ihm leichter von der Hand, als stünden sie statt der Lebenskarriere im Zentrum. Immer wieder kann ich sehen, wie ein Gesprächspartner seine Kernthemen bearbeitet und gleichzeitig mit viel Klarheit und Biss eine höhere Zielsicherheit und Ergebnisqualität in seine Arbeitsagenden bringt.

Die Auseinandersetzung mit den großen Themen führt zwangsläufig auch zu Lösungsansätzen im Arbeitskontext. Die Reflexionstiefe steigert sich. Die Lösungskompetenz des Klienten wächst gleichzeitig mit seinem Mut, seiner Zuversicht und seinem Abstraktionsvermögen. Vernetztes Denken löst Kreativität und Eigeninitiative aus.

Karriere ist nicht gleich Karriere

– und dieser Differenzierung stelle ich mich als Coach sehr gerne. Die Frage nach der richtigen Richtung und der richtigen Karriere aktiviert im Coachee neue Herangehensweisen. Seine Selbstkompetenz wächst. Der Klient schärft seinen Blick für Optionen und kann aus eigener Kraft Perspektiven und Zukunftsszenarien kreieren. Sein Metaverständnis von Karriere führt zu Entscheidungen. Im Sinne des Unternehmens kann sich daraus eine neue Effektivität und Ergebnissicherheit ergeben. Im Sinne des Unternehmens kann sich daraus ebensogut eine Lösung (= Trennung) ergeben, die dem Klienten in einem anderen Karriereweg Türen öffnet. In beiden Fällen liegen die Vorteile auf beiden Seiten.

Was heißt nun eigentlich „Karriere“?

Genau darum geht es: Darauf gibt es unendlich viele Antworten. Die schlussendliche Lösung als solches ist dabei relativ unwichtig. Entscheidend sind die Auseinandersetzung und der Zugang, diese Frage ehrlich, neugierig und partnerschaftlich mit dem Coachingpartner zu erarbeiten und weder Klischees zu bemühen noch im kreativen Spiel verloren zu gehen.

Jede Karriere malt ein Bild von unserem Lebenssinn. Sie ist dann eine Karriere, wenn sie in uns mittel- und langfristig Zugkraft auslöst und die Verbindung zwischen Motiven, Potenzial und Wirksamkeit immer stärker werden lässt. Ist sie zusätzlich von äußerlich erkennbarem Erfolg gekrönt ist, freuen wir uns über die persönliche Erfüllung hinaus auch darüber.

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