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Feedback geben und nehmen

18.05.2022Gudrun Gaedke

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Dieser Artikel geht der Frage nach, wie die Etablierung einer offenen Feedbackkultur mit Hilfe des 360 Grad Feedback Prozesses gelingen kann. 

Feedback gewinnt an Bedeutung

Feedback ist aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Es schafft in der Zusammenarbeit Klarheit und zeigt dem Einzelnen Potenzial für die eigene Weiterentwicklung auf. Im Team helfen Rückmeldungen die Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu schärfen. Ein Feedback, das Rückmeldung zur Wirkung auf andere vermittelt, macht es möglich, die Beziehungen untereinander zu klären und stärkeren Teamzusammenhalt zu entwickeln. In einer Zeit, in der Teamarbeit immer wichtiger wird und die Kooperation oft auf den virtuellen Raum reduziert ist, kann es gezielt eingesetzt werden, damit sich das Team wieder stärker als Team wahrnimmt. Das gegenseitige Vermitteln von angemessenem, konstruktivem und wertschätzendem Feedback sollte daher im Unternehmen etabliert und gepflegt werden, sodass es über alle Ebenen hinweg zu einer selbstverständlichen Kommunikationsform wird.

Offene oder zurückhaltende Feedbackkultur

In welcher Form Feedback in einem Unternehmen ausgetauscht wird, ist ein Gradmesser für die Feedbackkultur dieser Organisation. Sie ist dann fruchtbringend, wenn alle Beteiligten eine vertrauensvolle Atmosphäre erleben, in der eine offene und hierarchieübergreifende Kommunikation selbstverständlich ist und regelmäßig gegenseitige Rückmeldungen über Arbeitsweisen, Verhalten und Außenwirkung erfolgen. Wenn Mitarbeiter angstfrei über Hierarchie und Abteilungsgrenzen hinweg miteinander kommunizieren können, dann fördert das nicht nur das Lernen, sondern auch die Mitarbeiterzufriedenheit. Haben die Mitarbeiter in einem Unternehmen noch nicht das Vertrauen, offen Rückmeldungen geben zu können bzw. haben sie keine Übung darin, wird der Feedbackprozess oft als mühsam und schwerfällig erlebt. 

Ein sehr gutes Hilfsmittel, eine Feedbackkultur in einem Unternehmen zu etablieren ist der eher formelle Prozess des 360 Grad Feedbacks bzw. Multi-Rater Feedbacks.

Strukturiertes Feedback im 360 Grad Feedback Prozess

Ein 360 Grad Feedback wird eingesetzt, um ein möglichst umfangreiches und objektives Bild über das Verhalten und die Wirkung einer Führungskraft zu erhalten. Es bietet den Vorteil, Rückmeldungen zu einer Person aus mehreren Perspektiven zu erhalten. Neben der Selbsteinschätzung geben die Rückmeldungen durch Vorgesetzte, Mitarbeiter, Kollegen und gegebenenfalls noch weitere Sichtweisen ein differenziertes Bild als die alleinige Rückmeldung des Vorgesetzten z.B. im Mitarbeitergespräch. 

Gleichzeitig sind die Feedbackgeber-Gruppen in dem Prozess gefordert, ihre Rückmeldungen in strukturierter Form zu geben. Erfolgt der 360 Grad Feedback Prozess über eine Gruppe von Führungskräften, wird durch die Häufigkeit der Rückmeldungen die Kompetenz Feedback zu geben weiterentwickelt und geschärft. Die Feedbackgeber denken nicht nur über den Feedbackempfänger, sondern auch über sich selbst nach. Das fördert die Reflexion über die Zusammenarbeit und den eigenen Beitrag dazu. Besteht noch wenig Erfahrung mit dem Geben und Nehmen von Feedback, bedarf es einer professionellen Begleitung von Feedbackgebern und Feedbackempfängern.

Begleitetes Feedback-Gespräch

Die Interpretation der Ergebnisse ist ein wesentlicher Schritt im Rahmen des 360 Grad Feedbacks. Die Führungskraft als Feedbacknehmer wartet meist gespannt auf die Ergebnisse, um das eigene Bild in Abgleich mit dem Fremdbild zu bringen. Idealerweise wird der Feedbackempfänger dabei durch einen Coach bzw. Berater unterstützt, um die Ergebnisse für die weitere Entwicklung optimal einordnen zu können. Dabei hilft die Auseinandersetzung und Diskussion mit dem Coach aus den offensichtlichen Ergebnissen auf die tieferliegenden Muster zu schließen. Führungskräfte sind mit ihren Managementkompetenzen in der Lage, mit komplexen Zahlenwerken umzugehen, und könnten so auf den ersten Blick die Ergebnisse selbst interpretieren. Der Coach unterstützt beim Herausschälen der eigenen oft hinderlichen Einstellungen und Verhaltensmuster durch das Dranbleiben und gezielte Hinterfragen. Je klarer die Stärken, Schwächen und Entwicklungsfelder auf dem Tisch liegen, desto konkreter kann der Feedbacknehmer seine Entwicklungsziele formulieren.

Einordnung der Rückmeldungen

Ein Spannungsfeld im 360 Grad Feedback ist die Akzeptanz der Ergebnisse. Diese sind leichter anzunehmen, wenn die Rückmeldungen durch die Feedbackgeber möglichst eindeutig gegeben werden. Einerseits ist darauf zu achten, dass die gefragten Verhaltensweisen von allen Feedbackgebern tatsächlich beobachtet werden können. Andererseits ist es wichtig, die Feedbackgeber anzuleiten, die Einordnungsskala differenziert zu nutzen, d.h. Stärken und Schwächen pro Kompetenz ehrlich zu benennen. Dabei ist es hilfreich, wenn der Feedbackgeber eine konkrete Situation vor sich hat, um daran das Verhalten einzuordnen. 

Die Auswahl und Nominierung der Feedbackgeber ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Wirksamkeit des 360 Grad Feedbacks. Im Vorfeld der Befragung ist daher Zeit einzuplanen, damit der Feedbackempfänger gezielt überlegen kann, wen er zum Feedback einlädt. Ebenso wichtig ist die Instruktion der Feedbackgeber. Dabei sollte vermittelt werden, wie sie ihre Beobachtungskompetenzen schärfen können. Durch klaren Bezug auf konkrete Verhaltensweisen wird die Auseinandersetzung mit dem Verhalten anderer gefördert. Idealerweise kann hier auf bereits bestehende Führungskompetenzmodelle aufgebaut werden.

Konkretisierung durch offene Antworten

Ein weiteres Spannungsfeld ist der Umgang mit offenen Antworten. Diese ergänzen die Ergebnisse pro Kompetenz durch konkrete Beispiele an beobachteten Verhalten aus der Zusammenarbeit und enthalten häufig Wünsche an eine Verhaltensänderung beim Feedbacknehmer. 

Damit dieser die Rückmeldungen gut akzeptieren kann, braucht es Reflexionsfähigkeit auf seiner Seite und konstruktive Formulierungen auf Seiten der Feedbackgeber. Je nach Reifegrad der Feedbackkompetenz können die Rückmeldungen eher konstruktiv unterstützend bis zu vorwurfsvoll angreifend formuliert sein. Nicht konstruktive Aussagen oder nicht wertschätzende Formulierungen machen betroffen und können zu Irritationen führen. Für den Feedbacknehmer ist es hilfreich, darüber zu reflektieren, welches Verhalten seinerseits die Wahrnehmung beim Anderen ausgelöst haben könnte. Manch ein Feedbacknehmer wünscht sich an dieser Stelle, dass er die einzelne Aussage einer bestimmten Person zuordnen kann, um direkt darauf reagieren zu können. Dem gegenüber steht die Anonymität des Verfahrens, um ein offenes und ehrliches Feedback zu ermöglichen.

Anonymität ermöglicht Offenheit

Gerade beim erstmaligen Durchführen eines Multi-Rater-Verfahrens ist die Anonymität des Feedbacks eine zentrale Notwendigkeit. Für Organisationen, die noch keine ausgereifte und geübte Feedbackkultur haben, gibt die Anonymität am Anfang die Sicherheit, dass offen Feedback gegeben werden kann. Damit kann man vermeiden, dass sich die Feedbackgeber zurückhalten und allenfalls nur erwünschte Antworten formulieren bzw. die offenen Antworten auslassen. Eine vertrauensvolle Atmosphäre lädt ein, störende Themen anzusprechen, um so allen Beteiligten die Möglichkeit zur Weiterentwicklung zu geben. 

Die Art und Weise, wie Feedback formuliert wird, ist im Prozess näher zu analysieren und erfordert auf der Ebene der Person oder der Organisation entsprechende Rückschlüsse und allenfalls Maßnahmen. Mit zunehmender Feedbackkompetenz und der Selbstverständlichkeit konstruktiv Rückmeldungen zu geben, verringert sich dieses Spannungsfeld.

Systematisierung des Feedbacks und Offenheit der Feedbackkultur

Mit dem strukturierten Prozess des 360 Grad Feedbacks wird ein systematischer Ablauf des Feedbackgebens und -nehmens auf allen Führungsebenen angestoßen. Wird transparent kommuniziert, wie mit den Ergebnissen aus dem 360 Grad Feedback umgegangen wird, stärkt das das Vertrauen in den Prozess. Dieses Vertrauen wird unterstützt und vertieft durch die weitere Diskussion der Ergebnisse in Form eines fokussierten Debriefing des Vorgesetzten bzw. des Teams. Folgt aus den Rückmeldungen eine sichtbare Verhaltensänderung beim Feedbacknehmer, so erleben sich die Feedbackgeber als wirksam. Erhält der Feedbacknehmer Feedback, das ihn zu einer Verhaltensänderung und mehr Engagement motiviert, wird er den Prozess als zielführend und unterstützend erleben.

Feedback geben und nehmen über den 360 Grad Feedback Prozess hinaus

Wird das 360 Grad Feedback als etabliertes Instrument eingeführt und regelmäßig durchgeführt, steigt die Chance auf zielgenaueres, konstruktives und kritisches Feedback, das für den Feedbacknehmer noch aussagekräftiger ist. Mit zunehmendem Selbstverständnis des Feedbackprozesses wird das Feedbackgeben und -nehmen auch außerhalb eines 360 Grad Feedbacks etabliert. 

Dieser Prozess wird dadurch unterstützt, dass Menschen angeregt werden, regelmäßig Feedback zu geben, zu suchen und zu erhalten. Unternehmen, die die Etablierung einer offenen und konstruktiven Feedbackkultur gezielt ermöglichen, profitieren nicht nur von einer besseren Zusammenarbeit im Arbeitsprozess, sondern auch von einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit.