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Wir müssen reden! - reloaded

04.05.2020Kerstin SchraufstetterLudwig Pekarek

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Ludwig Pekarek, Senior Consultant bei den USP Leadership Experts, greift Kerstin Schraufstetters „Wir müssen reden!“ auf, weil „reden“ und vor allem Kommunikation in Zeiten großer Umbrüche und Krisen die wichtigste Kompetenz der Führungskraft und des Mitarbeiters ist. Wir müssen reden – vor allem in Zeiten wie diesen und ganz sicher auch über diese hinaus. 

Intro

Ludwig: „Hallo Kerstin, wie geht es Dir im Homeoffice? Ich nutze die scheinbar gewonnene Zeit, um zu lesen. Dabei bin ich auf Deinen inspirierenden Artikel aus April 2019 gestoßen. Du weißt schon, der über „kritische Gespräche“.

Kerstin: „Danke, es läuft soweit. Gerade sind Ferien, und damit haben wir eine kleine Pause beim Homeschooling. Mit drei kleinen Kindern und zwei arbeitenden Erwachsenen in einem Haus hatte ich übrigens ausreichend Gelegenheit, das Führen kritischer Gespräche zu üben. Mittlerweile haben wir Lösungen finden können, wer wann arbeiten darf, die Datenverbindung nutzen kann und wer sich wann um die Kinder kümmert. Wenn die Schule wieder startet, werde ich bestimmt mit meinem Sohn das eine oder andere kritische Gespräch führen dürfen. Gelegenheit dazu im privaten Bereich gibt es also genug. Im beruflichen Kontext ist momentan nicht so ohne weiteres daran zu denken, solche Gespräche zu führen. Daran sehen wir, wie schnell wichtige Themen scheinbar ihre Aktualität verlieren oder zumindest nur noch in einem bestimmten Kontext Gültigkeit haben.“

Ludwig: „Darüber habe ich auch nachgedacht. Dazu habe ich inzwischen einen wirksamen Lösungsansatz gefunden. Mich würde Deine Meinung dazu interessieren: Du kannst gleich zum letzten Abschnitt deines Blog-Posts springen und dich auf „Kritische Gespräche trotz Social Distancing führen und daraus für die Zukunft lernen“ konzentrieren. Den ersten Teil kennst Du ja selbst sowieso schon!

Wir müssen reden!

„Wenn es am meisten drauf ankommt, kann ich mich auf meine grauen Zellen am wenigsten verlassen.“ Kennen Sie das auch? Ich befinde mich im Gespräch mit einem Kollegen, und auf einmal wird es brenzlig. Plötzlich stehe ich unter Strom, meine Hände werden feucht, ich spüre, wie sich meine Gesichtsfarbe verändert. Bei der verzweifelten Suche nach einer souveränen und schlagfertigen Antwort, lässt mich mein sonst recht zuverlässiges Gehirn im Stich. Kurz und knapp: ich bin im Stress.

Besonders Führungskräfte finden sich oft in Situationen wieder, in denen sie kritisches Feedback geben oder unangenehme Themen ansprechen müssen. Da heißt es, die eigene Position zu vertreten, die eigenen Emotionen zu zügeln, die richtigen Worte zu finden und konstruktiv zu bleiben – doch leichter gesagt als getan. Was passiert denn nun genau mit uns in diesen Gesprächssituationen?

Kritische Gespräche - Was geschieht dabei mit uns?

Lassen Sie uns von vorne anfangen und zunächst einmal klären, was wir denn unter kritischen Gesprächen verstehen. An dieser Stelle schlage ich eine pragmatische Definition vor, die uns gleichzeitig mögliche Handlungsansätze aufzeigt. Wir sprechen von kritischen Gesprächen, wenn: 

Gespräche werden zu kritischen Gesprächen, wenn wir bedingt durch diese drei Merkmale in einer Stresssituation sind. Wir haben die Kontrolle über die Situation verloren, und es fühlt sich so an, als laufe ein automatisches Programm ab, auf das wir keinen Einfluss mehr haben. Das stimmt ansatzweise auch. Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, in Stresssituationen zuverlässig und vor allem extrem schnell zu funktionieren – beinahe reflexartig. Evolutionsbiologisch stammt dieser Schnellschuss aus der Zeit, als unseren Vorfahren typische Gefahren in Form gefährlicher Tiere begegneten.

Eine schnelle Reaktion war überlebenswichtig und lautete: Kampf oder Flucht. Beide Fälle bewirken intensive körperliche Aktivität und Anregung derjenigen Funktionen, die für die Bewältigungsreaktion notwendig sind: Atmung, Kreislauf, Energiebereitstellung

Wie unser Reptilienhirn in kritischen Gesprächen aktiv wird 

Kommt in unserem Gehirn die Information „Gefahr“ an, übernimmt das limbische System, unser „Reptiliengehirn“, die Kontrolle und setzt unverzüglich, ohne die Bewertung und Einschätzung durch den Kortex, unser „Denkhirns“, abzuwarten, die Stressreaktion in Gang. Der Vorteil dieses bildlichen „Rufs zu den Waffen“ ist, dass die Reaktion in Bruchteilen von Sekunden vollzogen wird. Diese Schutzreaktion hat aber auch den Nachteil, dass sich die oft heftigen körperlichen und emotionalen Reaktionen im Nachhinein als unangemessen herausstellen. 

Fragen zur Reflexion

Mittlerweile haben sich unsere Umwelt und die typischen Anforderungssituationen geändert, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Die körperliche Aktivierung ist meist nicht nur wenig hilfreich, sondern behindert sogar die Bewältigung unserer modernen Anforderungen. Was bedeutet das in der Zusammenfassung für unsere kritischen Gespräche?

Erste Hilfe und wirksame Lösungsschritte

Das klingt erst einmal so, als wären wir diesem Notprogramm hilflos ausgeliefert. Wir verfügen doch sonst auch über die Fähigkeit zum differenzierten Denken. Wie bekommen wir nun unseren Kortex wieder ins Spiel, der uns mit Hilfe seiner kognitiven Abwägungen, Einschätzungen und Entscheidungen in die Lage versetzt, differenziert zu denken?

Maßnahmen und Strategien: Aktivieren Sie Ihre Stressbremse

Atmen Sie 2-3 Mal tief durch und sagen Sie innerlich Stopp! 

Die „Stressbremse“ signalisiert dem Gehirn durch Rückkopplung, dass die Bedrohung vorüber ist. Die Entspannung wird eingeleitet, Stresshormone werden abgebaut, und das automatische Stressprogramm des limbischen Systems wird beendet. Sie vermeiden mögliche emotionale Reaktionen, persönliche Angriffe oder Äußerungen, die Sie später bereuen könnten. 

Jetzt, da wir wieder Zugriff auf unser komplexes Denken haben, lassen Sie uns anhand eines konkreten Beispiels die einzelnen Schritte der Wahrnehmungskette analysieren, die zur Entstehung der Emotionen und der Stressreaktion geführt haben. 

1.      Wahrnehmung einer Situation

Sie sind Führungskraft und das Teammeeting steht an. Es ist 09:00 Uhr. Alle Ihre Mitarbeiter - bis auf einen - sind da. Sie warten. Es ist bereits 09:10 Uhr. Es ist nun das dritte Mal in Folge, dass Ihr Mitarbeiter zu spät kommt. Sie haben ihn bereits das letzte Mal um Pünktlichkeit gebeten. 

2.      Interpretationen und Gedanken

Nun bewerten wir diese Situation und machen uns unsere Gedanken. Diese können je nach Person sehr unterschiedlich ausfallen. Hier eine mögliche Auswahl:

3.      Gefühle

Diese Interpretationen lösen Gefühle bei uns aus. D.h. nicht die reinen Fakten sind für unsere Gefühle verantwortlich, sondern die Bedeutung, die wir den Tatsachen beimessen. In unserem Fall könnte das dann so aussehen:

4.      Handeln

Auf Grundlage dieser Gefühle handeln wir, was sich wie folgt äußern könnte:

Die gute Botschaft aus unserer Analyse lautet: Nicht unsere Mitmenschen, sondern wir sind für unsere Emotionen verantwortlich, da die Gefühle durch unsere Gedanken und Interpretationen entstehen. Und damit haben wir sehr wohl einen Einfluss auf den Verlauf von kritischen Gesprächen. Was können wir also in der konkreten Situation tun?

Maßnahmen und Strategien: Schauen Sie sich die Wahrnehmungskette an, bevor Sie handeln.

Das werden Sie auch später beim Einstieg in das Gespräch benötigen:

Die richtige Haltung macht’s: Gespräche auf Augenhöhe führen 

Bevor wir in das kritische Gespräch starten, lassen Sie uns nochmal einige grundsätzliche Fragen klären: 

Der Knackpunkt ist oft nicht, was wir sagen oder wie wir formulieren, sondern mit welcher Absicht wir es tun. Möchten Sie dem chaotischen Kollegen endlich beibringen, ordentlich zu sein, da Ihnen persönlich Ordnung sehr wichtig ist? Möchten Sie zeigen, dass Sie im Recht sind und vielleicht schon immer recht hatten? Oder geht es Ihnen darum, den Kollegen bei seiner Abwesenheit auch vertreten zu können? Ist das Kritikgespräch nur ein Einstieg, um den ungeliebten Mitarbeiter loszuwerden? Oder möchten Sie gemeinsam mit Ihrem Mitarbeiter die Situation klären, um in Zukunft Fehler zu vermeiden? Hand aufs Herz – was ist Ihr eigentliches Motiv? Was steckt dahinter?

Warum ist die Klärung unserer unausgesprochenen Motive und Gesprächsziele so wichtig? Sie beeinflussen den Verlauf des Gesprächs erheblich. Unsere unausgesprochenen Motive bahnen sich ihren Weg und verraten sich durch unsere Mimik und Gestik. Wenn das Gesagte mit der nonverbalen Kommunikation nicht übereinstimmt, löst das beim Gegenüber Irritationen aus. Wir wirken unglaubwürdig. Studien haben gezeigt, dass wir bei nicht stimmiger Kommunikation dem nonverbalen Ausdruck (55%) und der Stimme und Intonation (38%) deutlich mehr Glaubwürdigkeit beimessen als dem gesprochenen Wort (7%). 

Fragen zur Reflexion

Die Klärung der Motive ist der erste Schritt für ein gelungenes Gespräch auf Augenhöhe. Die Grundidee der Kommunikation auf Augenhöhe ist: Je mehr sich der andere öffnet, desto mehr Informationen stehen zur Verfügung und desto größer ist die Chance, eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden. Um sich zu öffnen und dem anderen ehrlich mitzuteilen, worum es wirklich geht, brauchen wir das Gefühl, unserem Gesprächspartner vertrauen zu können. Das ist die Grundlage für ein konstruktives Gespräch auf Augenhöhe. Das bedeutet, die Meinungen, Interessen, Wünsche und Zielsetzungen des Gesprächspartners zu tolerieren und zu akzeptieren. Für die Praxis heißt das:

1.      Den Gesprächspartner ernst nehmen.

2.      Dem Gesprächspartner zuhören.

3.      Sich für die Sichtweise des Gesprächspartners interessieren.

Diese Grundhaltung ist wesentlich für den Erfolg der Gespräche – davon bin ich überzeugt. 

Kritische Gespräche trotz Social Distancing führen und daraus für die Zukunft lernen

Aufgestaute Emotionen vermindern nicht nur unsere Arbeitsfähigkeit, sondern auch unsere Lebensqualität. Zusätzlich besteht die Gefahr, durch immer neue, auch ungewollte oder unbewusste Impulse und die steigende Sensibilität der eigenen Wahrnehmung in eine Eskalationsspirale zu geraten. Es spricht also einiges dafür, akute Konflikte unmittelbar zu lösen. Aber wie soll das bei verordneter sozialer Distanz funktionieren? Also besser doch aufschieben?

Setzen wir uns doch als Erstes mit den Möglichkeiten auseinander, die uns in derartigen Situationen zur Verfügung stehen. Das gute alte Telefon ist zwar vielleicht naheliegend, jedoch aus verschiedenen Gründen nicht empfehlenswert. Es ist zwar für die meisten von uns gewohnt und die Technik ist, abgesehen von gelegentlichen Mobilfunklöchern, stabil, jedoch verlieren wir die gesamte Palette der nonverbaler Kommunikation, und wir können, wie an anderer Stelle erläutert, einen wesentlichen Kanal für den Aufbau einer vertrauensvollen Kommunikation nicht bedienen. Die Chancen, sich ausreichend in die Gefühlslage unseres Gesprächspartners versetzen zu können, sinken dadurch dramatisch. Das kann sich entscheidet auf den Erfolg unseres Gespräches auswirken.

Moderne Videokonferenzsysteme bieten eine ausgezeichnete und leicht zugängliche Alternative zu einem Präsenzgespräch. Neben der Möglichkeit, dem Gesprächspartner ins Gesicht zu sehen, eröffnen sie uns noch zusätzliche Optionen, wie zum Beispiel professionell und ohne Qualitätsverlust Unterlagen zu teilen. Damit erhöhen wir die Chance, das Gespräch schneller auf eine sachliche Ebene und einer Lösung näher zu bringen.

Jedoch sollten wir uns einiger Stolperfallen bewusst sein. Aber Achtung! Es wird jetzt ein wenig technisch – wer das an dieser Stelle nicht möchte oder die Technik bereits perfektioniert hat, ist eingeladen, den nächsten Absatz zu überspringen.

Zusätzlicher Stress durch mangelhafte Technik führt zu zusätzlichen Emotionen. Unbedingt erforderlich ist daher eine leistungsfähige und stabile Datenverbindung. Können wir diese Datenverbindung aufgrund der aktuellen Restriktionen nicht beeinflussen, erlaubt sich auch ein Ausweichen auf das stabilere, situativ nicht immer bildunterstützte Mobiltelefon. Neben einer ausreichenden Hardwarequalität, also einer Kamera mit guter Auflösung und einem Mikrofon mit guter Sprachqualität, sollten wir auch für ein angemessenes Umfeld sorgen. Der Hintergrund soll professionell wirken und eine angemessene Atmosphäre ausstrahlen. Daher sollten wir auch auf kritische Gespräche via Tablet oder gar Mobiltelefon verzichten, es sei denn, nur damit schaffen wir Stabilität. Das Gespräch könnte leicht improvisiert wirken und den Eindruck einer zu geringen Wertschätzung vermitteln. Das gilt auch für mangelnde „Tool-Fitness“ der Gesprächsteilnehmer. Beachtenswert ist auch die Position der Kamera. Sie sollte frontal und in Augenhöhe positioniert sein. Wie die richtige Sitzposition bei Präsenzmeetings, trägt diese Rahmenbedingung zu einer vertrauensvollen Arbeitsstimmung bei.

Wir werden vielleicht feststellen, dass räumliche Distanz als Ausrede für Prokrastination ausgedient hat und wir durch den Einsatz von Technologie nicht nur unsere Effizienz steigern können, sondern auch die Qualität der Konfliktlösung. Die zeitnahe Beilegung von Dissonanzen und Meinungsverschiedenheiten steigert nicht nur unsere Produktivität, sondern leistet auch einen wertvollen Beitrag zur Reife unserer Zusammenarbeit und unserer Lebensqualität – jetzt und in der Zukunft.

Vielleicht wird die fehlende menschliche Nähe sogar zum Vorteil, weil sie uns hilft, die angestauten Emotionen im Gespräch leichter zu beherrschen.

 

In meinem nächsten Blogpost zum Thema „Wir müssen reden! – Kritische Gespräche, Teil 2“ werde ich mich den Methoden widmen, die Ihnen dabei helfen, diese Haltung im Gespräch zum Ausdruck zu bringen. Sie bieten Struktur und Hilfestellung dabei, die Haltung auch so zu vermitteln, dass sie bei Ihrem Gegenüber ankommt. 

Literatur: 

►   Patterson, Kerry: Crucial Conversations: Tools for Talking When Stakes Are High. McGraw-Hill, 2012

►   Kaluza, Gert: Gelassen und sicher im Stress. Springer Verlag, 2015