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Stoßrichtungen kreativen Handelns: Produkt- und Sinnentwicklung

Wie Sie Ihre Unternehmensidentität und Ihre Produktlandschaft erfolgreich durch kreativitätsförderndes Handeln gestalten

27.09.2019Gerhard Liska

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Stoßrichtungen kreativen Handelns: Produkt- und Sinnentwicklung

Die Rahmenbedingungen für erfolgreiches unternehmerisches Handeln und die Herausforderungen, denen es unterworfen ist, nehmen beständig an Komplexität und Dichte zu. Das wirft wichtige und für einzelne Organisationen, ja ganze Industriezweige, überlebenswichtige Fragen auf, wie wir an bekannten Beispielen sehen:

Was tun, wenn in Wintersportgebieten klimatisch bedingt der Schnee ausbleibt, gesetzliche Rahmenbedingungen die Marktbedingungen neugestalten oder neue Technologien wie 3D-Druck oder Robotik bestehende Produktionsprozesse radikal verändern?

Der Ruf nach Innovation wird lauter und persönliche Kreativität in den Rang einer gefragten Kernkompetenz für Führungskräfte erhoben. Es ist wichtig, Kreativität als entscheidende Zukunftsressource zu verstehen, den Status quo persönlichen wie organisationalen Denkens und Handelns zu hinterfragen und über scheinbar bestehende Begrenzungen hinauszudenken und dieser Konsequenz entsprechend zu handeln.

Kreativität: Zwei Stoßrichtungen, die einzeln für sich stehen oder einander gar ergänzen

Die Möglichkeit der Steuerung der kreativen, verändernden Energie in der Organisation ist der Fokus dieses Artikels. Dazu differenziere ich zwei Stoßrichtungen kreativen Handelns voneinander. Als Zielgruppe dieser Ausführungen spreche ich Führungskräfte an, die sich damit befassen müssen oder wollen.

Zuerst zum Begriff Kreativität selbst. Kreativität geht auf das lateinische Verb creare zurück: etwas Neues schöpfen, etwas herstellen oder auswählen. Kreatives Handeln hat damit zu tun, etwas Neues in die Welt zu bringen. Dieses Neue verspricht uns den nötigen Vorsprung vor dem Mitbewerb und damit das Quentchen added value, das ein Produkt von anderen abhebt, oder die Innovation, die das Unternehmen auf neue Schienen stellt und die zukünftige Entwicklung nachhaltig sichert.

Auf die Perspektive kommt es an

Bevor wir zu den Differenzierungen kreativen Handelns kommen, ist es sinnvoll, uns die Komplexität des Themas vor Augen zu führen: In Bezug auf die Förderung und Steuerung kreativen Handelns sind die persönliche Ebene und die organisationale Ebene eng miteinander verschränkt.

Kreativität wird einerseits als persönliche und im einzelnen Menschen verankerte Ressource gesehen. Der Ansatzpunkt ist der jeweilige Mensch mit seiner individuellen Bereitschaft und Fähigkeit zu kreativem Denken und seinen ganz persönlichen kleinen Ritualen, die ihm helfen, den kreativen Fluss in Gang zu bringen.

Andererseits muss für das größere Ganze eines Teams oder einer Organisation der geeignete organisationale Rahmen geschaffen werden, um kreatives Denken und Handeln zu ermöglichen und wirksam zu fördern.

Kreativität als Führungsaufgabe

Es gilt, Kreativität in einem größeren Kontext zu sehen und erfolgreich mit Innovation zu verzahnen. Kreativität beschreibt dabei die Anstrengung zur Erfindung des Neuen, Innovation beschreibt die Anstrengung, dieses Neue in das Bestehende zu integrieren und implementieren. Das Eine ist also die Voraussetzung des Anderen. Beides ist notwendig und verlangt nach einem geeigneten Rahmen. Diesen zu schaffen, ist eine wesentliche Führungsaufgabe. Leider endet sie nur zu oft in Aktionismus, weil unser landläufiges Verständnis von Kreativität uns alle benötigten Zutaten in einen Topf werfen lässt, ohne dass wir im Führungsalltag mit der notwendigen Sorgfalt vorgehen. So bieten Seminare zu Kreativitätstechniken und Querdenken scheinbar rasche, effiziente und einfache Lösungen und sind somit gerne das Mittel erster Wahl. Sie führen aber nicht immer zum gewünschten Erfolg.

Um den blinden Aktionismus zu umschiffen, ist es sinnvoll, folgende Fragen zu stellen:

Diese Fragen bringen eine Metaebene ins Spiel, die leicht im Strudel des Handelns verloren geht.

Bei genauerer Betrachtung wird nämlich klar, dass kreatives Handeln in zwei grundlegende Stoßrichtungen differenziert werden kann, die ebenso unterschiedliche Rahmen- und Gestaltungsbedingungen brauchen, um nachhaltig und effektiv wirken zu können.

Zwei Stoßrichtungen: Gewinn- oder Sinnentwicklung?

Was sind die beiden Stoßrichtungen? Das Neue, das in die Welt kommen soll, ist entweder ein neues Produkt, eine neue Dienstleistung oder ein neues Service und daher etwas Greifbares und Physisches. Hier geht es um Produktentwicklung.

Das Neue, das in die Welt kommen soll, kann im Gegensatz dazu aber auch nicht-physisch und nicht-greifbar sein. Hier geht es um Sinnstiftung, um das Kreieren und Aufschließen neuer Sinnhorizonte, Emotionshorizonte oder Identitätskonstruktionen.  

Beide Stoßrichtungen decken unterschiedliche Aspekte kreativen Handelns ab, brauchen unterschiedliche Rahmenbedingungen zu ihrem Gelingen, überschneiden sich in der Praxis und ergänzen sich im Idealfall. Jede der beiden Stoßrichtungen erfordert allerdings eine spezifische Haltung und Herangehensweise in der Umsetzung, damit am Ende eine win-win Situation für alle Beteiligten entsteht, inklusive der Organisation selbst und ihrer unterschiedlichen Stakeholder im Umfeld.

Bin ich mir als Führungskraft darüber im Klaren, welche der beiden Stoßrichtungen ich gehen will oder muss, bin ich fokussiert und wirke als Motivator und Impulsgeber, sowohl für mich selbst als auch für mein Umfeld. Dann kann ich die Ressource Kreativität für mich, meinen Führungsbereich und die Organisation als Ganzes bestmöglich nutzen.

Kreativität als Suche nach dem Neuen

Wir sprechen hier von der Erkundung einer neuen, noch unbekannten Realität. Das kreative Handeln ist daher fragend, entdeckend oder erfindend.

Dies ist der häufigste Zugang zu Kreativität, oft auch Anstoß zur Unternehmensgründung. Im Rahmen eines universitären Projektes oder einer Dissertation entsteht beispielsweise die Idee für ein neues, spezifisches Oberflächenbehandlungsverfahren oder ein neuer Algorithmus im Bereich Artificial Intelligence. Die Unternehmensgründung als Schritt zur weiteren Vermarktung und Entwicklung des Neuen ist nur noch die logische Konsequenz. Oder in der Entwicklungsabteilung eines Unternehmens entsteht der Prototyp für ein neues Produkt, das in der Folge und nach ausführlicher Testung als Innovation im Produktportfolio verankert wird.

Die Schaffung neuer Leistungs- und Gewinnbereiche als organisationale Funktion

Hier adressiere ich die klassische Funktion der Produktentwicklung und –optimierung, die wir organisationsintern oftmals in Innovationszentren, Entwicklungsabteilungen und dergleichen finden. Dies zeigt schon, dass der Bereitstellung geeigneter Ressourcen für das Entdecken und Erfinden große Bedeutung zukommt. Wissen muss gesammelt, kanalisiert und wieder abrufbar gemacht werden.

Der Suche nach dem Neuen bemessen wir in vielen Branchen große Bedeutung bei, glauben wir doch, damit den Geschäftserfolg in der Zukunft sichern zu können. In nicht wenigen Unternehmen findet sich diese Haltung in Formulierungen wie Innovationstreiber, Pioniergeist oder zukunftsorientiert auch im Wertekatalog.

Die Übertragung dieser Stoßrichtung der Kreativität auf einen spezialisierten Personenkreis kann zu Engpässen führen, da Kreativität und Innovation auf eben diesen kleinen Kreis beschränkt bleiben. Dabei können in Bezug auf die Entdeckung des Neuen Ressourcen verloren gehen, wenn nicht alle Menschen in einer Organisation in den Prozess des fragenden Suchens eingebunden sind. Eine spezifische Führungsaufgabe zeigt sich darum in der Frage, wie möglichst viele Menschen in einer Organisation in diese Suche mit eingebunden werden können. Auch Diversität im Hinblick auf unterschiedliche Denk- und Erklärungsmodelle wäre wichtig, ist aber oft nicht gegeben, weil viele Organisationen im Bewerbungs- und Aufnahmeprozess gerne jene Qualitäten und Kompetenzen bevorzugen, die ohnehin schon stark vertreten sind.

Kreativität als Sinnstiftung

Im Unterschied zur Produktentwicklung geht es hier um das Erschließen neuer Sinnhorizonte, das Schaffen neuer Produkt- und Unternehmensidentitäten und Begründungen. Das kreative Handeln ist darum deutend und begründend ausgerichtet.

Dieser Aspekt der Kreativität gewinnt in einer Welt, in der berufliches Tätigsein immer stärker mit der Sinnfrage gekoppelt ist, zunehmend an Bedeutung. Fragen nach dem Sinn, den eine Organisation generiert, und nach dem Sinn, den die von ihr erzeugten Produkte stiften, müssen von den Führungskräften der Organisation verhandelt werden. Ein Beispiel dafür sind die mittlerweile etablierten Eigenmarken-Bioproduktserien der großen Lebensmittelhändler. Was als Produktentwicklung begonnen hat, zeigt inzwischen eine Eigendynamik, die für viele Konsumenten zur sinnstiftenden Marken- und Händlerbindung wird. Ein anderes Beispiel ist das klassische Wintersportressort, das sich mit dem ausbleibenden Schnee einen Identitätsanker für die Sommersaison aufbauen muss. Analog zur Produktentwicklung der fragenden und erfindenden Stoßrichtung kreativen Handelns lässt sich bei der deutenden Stoßrichtung von Sinn- oder Identitätsentwicklung sprechen.

Die Suche nach neuen Sinnhorizonten als organisationale (Nicht-) Funktion

Marketing oder Verkauf sind oftmals die Bereiche, wo diese Art der Kreativität Platz findet, wenn sie überhaupt einen organisationalen Raum zugewiesen bekommt. Auch in der Visionsarbeit kann die organisationsinterne Diskussion zu Werten ihren Platz finden. Im Unterschied zur Produktentwicklung ist diese kreative Stoßrichtung aber vielfach nicht eindeutig in der Organisation verankert. Sie ergibt sich gerne als eine Art Nebenprodukt aus Entwicklungen, die bei der Suche nach neuen Produkten und Serviceangeboten entstehen und wird oft gar nicht mit Kreativität in Verbindung gebracht.

Das obige Beispiel aus dem Lebensmittelhandel beschreibt dies gut. Ein Beispiel aus der erzeugenden Industrie sind neue Servicevarianten zu einem bestehenden Produkt, die beim Kunden Zusatznutzen stiften und gut angenommen werden. Der Aspekt der Serviceentwicklung deckt die erste der beiden beschriebenen Stoßrichtungen kreativen Handelns ab. Zugleich, und hier wird es komplex, ergibt sich die Möglichkeit für einen neuen, zusätzlichen Sinnhorizont.

Neue Sinnhorizonte ermöglichen neue Identität und neue Wirklichkeit

Dies berührt die zweite Stoßrichtung kreativen Handelns. Anfänglich nur als Incentive oder Add-On gedacht, entwickelt sich das Service zu einem wichtigen und eigenständigen Teil der Produktpalette. Es trägt das Potenzial in sich, nicht nur den Sinnhorizont des Produktes, sondern den der Organisation als solches zu verändern. Dieses Potenzial sollte jedoch bewusst gehoben und im Prozess sorgsam begleitet werden, damit es nachhaltig zum Unternehmenserfolg beitragen kann.

Am Ende verändern sich Sinnhorizont und Identität der Organisation. Was vorher ein reines Produktionsunternehmen war, entpuppt sich neu zu einem Unternehmen, in dem sowohl der Produktions- als auch der Servicebereich zu Säulen des Erfolges werden. Wo es vorher nur eine Verkaufsorganisation gab, entwickelt sich hinterher auch eine Serviceorganisation mit regionalen Servicecentern. Diese Metamorphosen müssen sich in den Köpfen und im Selbstverständnis der Mitarbeiter allerdings entsprechend abbilden.

Eben, weil die hier skizzierte und notwendige eindeutige organisationale Verankerung fehlt, kann kreatives Handeln bei dieser Stoßrichtung nicht mehr so einfach delegiert werden, wie bei der Suche nach Neuem in der Produktentwicklung. Daher kommt den Management- oder Führungsteams einzelner Bereiche überproportionale Bedeutung in der Entwicklung, der Verankerung und insbesondere der organisationsinternen Kommunikation neuer Sinnhorizonte zu.

Kreative Kulturen

Nun bleibt die Frage, wie kreatives Handeln in einer Organisation initiiert und in Folge verankert werden kann. Über Stellenbezeichnungen wie Innovationsmanager hinaus geht es dabei letztlich um eine Kultur kreativen Denkens und Handelns.

Mein Einfluss als Führungskraft

Wie kann ich als Führungskraft eine kreative Kultur fördern, die fragend, entdeckend oder erfindend vorgeht? Da in den entsprechenden Bereichen in der Regel Experten und Expertenteams geführt werden, ist die Förderung kreativen Handelns essenziell. Dies kann geschehen durch:

Organisationale Lösungsansätze

Wie kann ich als Führungskraft eine kreative Kultur fördern, die deutend und begründend vorgeht? Der gemeinsam getragenen Deutung kommt bei dieser Stoßrichtung kreativen Handelns große Bedeutung zu, berührt dieser Zugang doch Aspekte der Identität und des Sinnhintergrundes der Organisation selbst. Dies kann geschehen durch:

  1. Die Definition des einzubindenden Diskussions- und Entscheiderkreises,
  2. die Festlegung eines gemeinsamen Zielfokus als Richtung für den Diskurs,
  3. die Festlegung von Regeln und Rahmen für den Diskurs,
  4. den offenen Austausch zu und Vereinbarungen über die gemeinsam getragene Wertebasis in der Organisation und deren möglichen Veränderbarkeit,
  5. die Definition einer neuer Sinn-, Werte- und Identitätsbasis als handlungsleitenden Rahmen für die Organisation, sinnvoller Weise in Form einer neuen Vision,
  6. eine Strategie zur Kommunikation der neuen Sinn- und Identitätskonstruktion in der Organisation nach innen und außen, und
  7. die Ableitung allfälliger Konsequenzen auf das bestehende Produktportfolio.

Zur Überleitung in meine  eigene Praxis ...

Damit sind wir wieder bei den einleitenden Fragen gelandet, die ich an dieser Stelle erweitern will:

(1)  Warum brauche ich kreatives Handeln in meinem Führungsbereich gerade jetzt?     

       Wo drückt der Schuh?

       Was erhoffe ich mir von mehr Kreativität?

(2)  Welches Set-up brauche ich für mich, um kreativ handeln zu können?

       Was sind meine kleinen Rituale, die mich hierbei unterstützen?

       Welche Rituale erleichtern meinem Team das kreative Handeln? Welchen positiven Beitrag kann Produktentwicklung,

       das heißt eine fragende, entdeckende und erfindende Vorgangsweise, leisten?

(3)  Welchen positiven Beitrag kann Sinn- und Identitätsentwicklung, das heißt eine deutende und begründende

       Vorgangsweise, leisten?

       Wo und wie muss ich differenzieren?

(4)  Wie kann ich den Rahmen für die nächsten Schritte daher sinnvoll abstecken?

       Was brauche ich dazu?

       Wen sollte ich dabei einbinden?

Diese Fragen geben uns, aber auch Ihnen und Ihren Führungskräften, einen roten Faden an die Hand, mit dem in einem ersten Schritt zur Stärkung der kreativen Kultur im eigenen Führungsbereich der Status Quo reflektiert werden kann.

In der Folge geht es darum, die kreative Energie im Spannungsfeld zwischen fragendem, erfindendem Handeln einerseits und deutendem, begründendem Handeln andererseits mit den angebotenen Handlungsoptionen zu fokussieren und zu kanalisieren.