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Effektiver Change schmerzt – Teil 2

Effektiver Change schmerzt: Kindsweglegung oder der unbequeme Schritt zur neuen Identität?

01.03.2016Petra Schulte

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Sie wollen wachsen und den Markt bestimmen. Sie sind Gründer und Eigentümer und haben eine Vision. Wie passt diese Vision in das Konzept der One-Man-Show? Wenn sich Unternehmer mit ihren Mitarbeitern auf die Veränderungsreise begeben, durchläuft die Firma einen Change.

Manager fragen gern betont lässig und nonchalant: „Sind wir nicht alle immer im ‚continuous change‘? Was ist heutzutage schon ‚Change‘?“ Ich antworte je nach Kontext, Publikum oder auch Atmosphäre schon einmal wenig höflich: „Ja, ja. Ist schon klar…“

Was ich stattdessen heimlich denke und in dem Kurzsatz verschweige:
Für den Unternehmer wird der Veränderungsprozess auf langen Strecken ein Ritt durch die Hölle.

Change ist nicht gleich Change

Ob Sie einen Konzern neu ausrichten oder ob Sie Ihre eigene, selbst gegründete Firma noch einmal völlig neu erfinden wollen: Beide Kontexte bedienen unsere Fantasien von Veränderung und daraus folgend auch Veränderungsmanagement. Die Symptome in der Mitarbeiterlandschaft sind ähnlich. Die Risiken ähneln sich von außen auch.

Spannend wird es jedoch, wenn das Herzblut des Gründers, des Unternehmers mit ins Spiel kommt. Für ihn oder sie (Mann/Frau + Singular/Plural) wird diese Entwicklungsbewegung eine sehr große Herausforderung, die vordergründig das Geschäftsmodell und die Unternehmenswerte in Frage stellt. Der stattdessen sehr viel emotionalere, weitaus belastendere Anspruch liegt allerdings in der Forderung an die eigene Persönlichkeit, an das eigene Wachsen, wenn es um Loslassen, Zulassen und Entstehen-lassen geht.

Der Unternehmer selbst hat eine Berg- und Talfahrt vor sich, die ihn an seine ganz persönlichen Wachstumsgrenzen führt und von ihm sehr viel mehr verlangt, als einfach nur sein Zuviel an Arbeit zu delegieren und seinen Erfolg zu teilen. Er oder sie muss erlauben und ertragen, dass ihm die Beitragenden sein Baby aus der Hand nehmen und es vor seinen Augen brutal verändern.

Change im Kontext

Wer sich aus dem Umfeld der Konzerne in die Welt der äußerst erfolgreichen Mittelbetriebe bewegt, erfährt die faszinierende Mischung aus genialem Unternehmertun und den mühsamen Lernschritten des Loslassens. KMU (= kleinere und mittlere Unternehmen) sind in ihrer Dynamik und ihren Wechselwirkungen völlig anders gestrickt als ein Konzern, der von einem eingesetzten Gremium geführt wird.

KMU auf dem Vormarsch = Ihr Markt funktioniert anders und ihr Unternehmen erst recht

Den größten Einfluss im Unternehmen hat immer der Unternehmer selbst. Den Markt oder die Wirtschaftslage, die Rohstoffsituation oder andere Außenfaktoren zu benennen, ist zu kurz gedacht. Der Gründer und seine Nachfolger machen den großen Unterschied.

Sie wollen mit ihrem Unternehmen wachsen. Sie strengen sich dafür sehr an. Ihre aktuelle Veränderungssituation fußt auf langjährigen, nachhaltigen Erfolgen, außerordentlichem Commitment, herausragender technischer Expertise. Diese Parameter gelten für Industrie und Dienstleistung gleichermaßen.
Sie sind Manager, die mit Herzblut ihr Unternehmen weitertreiben.

Unternehmer auf Wachstumskurs – Differenzierung durch Ownership

Nun sind Unternehmer nicht gleich Unternehmer. Was sie im Vergleich zum normalen Unternehmer zusätzlich auszeichnet: Sie wollen zu den ganz Großen ihrer Branche gehören. Sie ringen um Markt-, Kompetenz-, Innovationsführerschaft. Sie kämpfen um die Qualität ihrer Produkte, um strategische Branchenziele, um hohe Standards. Sie engagieren sich in Dachverbänden, Innungen und Vereinen, um ihr Business wirklich gut weiter zu wachsen und sowohl ihren Kunden als auch ihren Mitarbeitern nachhaltig gerecht zu werden. Genau das steht ihnen auch zu, denn sie sind richtig gut.

Wir dürfen Unternehmern generell unterstellen, dass sie das Wachstum und die Wirtschaftlichkeit ihres Unternehmens anstreben. Sie erkennen klar, was sie als großen Schritt über organische Entwicklungsschritte hinaus zum großen Sprung nach vorne anstellen müssen.

Sie alle wollen das Beste für ihre Firma und ihre Mitstreiter – angestellt oder freiberuflich. Einige von ihnen sind Getriebene, Selbstkritische. Kämpfer gegen die Nachlässigkeit, die Oberflächlichkeit, die persönliche Sättigung. Sie hinterfragen sich und prüfen sich und strengen sich an, weiterhin die Besten ihrer Profession zu bleiben.

Die erste Übung: Begeisterung entfachen

Sie sind Rattenfänger. Wenn sie etwas können, dann ist es, Menschen für eine Idee zu begeistern, sie mitzunehmen, mit ihnen an großen Bildern und Schlössern zu bauen. Ob sie dabei ihre Kunden mitreißen oder sich eine Schar Jünger, Nachfolger und Mitstreiter ins eigene Haus holen und ihnen für ihre Leistung auf Monatsbasis Geld schenken: Sie können Menschen für sich und ihre Ideen hervorragend einnehmen, denn sie sind fast immer charismatisch, gewinnend und Künstler ihres Fachs.

Die zweite Übung: Abgeben, delegieren, Verantwortung übergeben

Klug sind sie auch. Sie wissen mitten im Erfolg, dass sie sich nicht klonen können. Intuitiv – und Intuition ist ihre wirklich große Stärke! – erspüren sie, dass eine gewisse Komplementarität befruchtend, belüftend, erleichternd, entlastend und andererseits bereichernd, antreibend, beschleunigend und wirksam sein kann. Wenn sie ihre Klugheit mit Konsequenz verbinden, holen sie sich einen Partner an die Seite, weil sie entdecken, dass sie Unterstützung brauchen.
Zu Beginn sind das die Mitstreiter, die ihnen bereits aus fachlicher Überzeugung oder auch persönlicher Anziehung folgen. Sie vervielfältigen das Ergebnis und den Ertrag. So beginnt das Wachstum.
Später sind es Komplementäre, Menschen mit anderen Expertisen.
Ein Externer – Berater oder zukünftiger Geschäftspartner – oder ein neuer Interner: Neue Besen kehren gut, und das zählt. Flux hat der visionäre Unternehmer einen ambitionierten, mit Leidenschaft engagierten Mitstreiter an seiner Seite, der sein Anliegen mit seinem ganz eigenen Verständnis von der Lage, seiner eigenen Interpretation vom Geschäft und seinen erlaubt persönlichen Motiven voran treibt. Diese Unterstützung ist vom Unternehmer selbst gesucht, gewollt und erst einmal vollinhaltlich zugelassen.

Und hast du nicht gesehen…

verselbständigt sich diese schöne Geschichte. Der Neue wird aktiv. Die Wachstumsidee greift. Wir dürfen an dieser Stelle ganz ungeniert hinschauen: Der Neue ist KEIN Klon des Eigentümers. Er ist eine autonome, starke Person, ein Mensch mit Potenzial, mit Erfahrungen, mit großem Commitment und mit einer subjektiv verstandenen Message, was er im Sinne des Eigentümers als Auftrag zu erledigen hat.

Die dritte Übung: Geschmack an der anderen Lösung entwickeln

Unser Fantasie-Eigentümer mag noch zu Beginn der Annäherungsgespräche geglaubt haben, sein neuer Partner ergänze ihn freundlich-komplementär. Das heißt so viel wie: Er versteht das Anliegen seines Auftraggebers und stimmt im Prinzip zu. Er bügelt mit seiner Kompetenz die offenkundigen Schwächen des Inhabers auf so charmante Weise aus, dass dieser sich davon höchstens amüsiert, jedoch nie kritisiert fühlen muss.

Doch mit jedem Tag, mit jedem Meeting und jedem kleinen Erfolg wird dem Eigentümer gewahr, der neue Ziehsohn interpretiert ihn – frei. Die Richtung stimmt noch immer. Nur fühlt sie sich, die Veränderung, langsam aber deutlicher erkennbar ein kleines Bisschen anders an.

Die gleiche Befremdung lösen die zu Beginn willkommen geheißenen Berater aus, sollte es externe Begleiter geben. Alles ist fein, so lange sie die verlängerte Werkbank darstellen und das Wachstumsstreben einfach nur beschleunigen. Dafür dürfen sie zu Beginn gern auch widersprechen, andere Zugänge aufzeigen, die Vision und die Pläne des Eigentümers befragen. Das gehört schließlich noch zum Kennenlernen und zur Annäherung.

Doch wehe, die neuen Zuarbeiter, intern der Ziehsohn oder Projektleiter ebenso wie extern die Berater, lassen den Eigentümer sanft und rücksichtsvoll oder gar grob und dominant wissen, dass er, der Initiator und „Projectowner“ sich nun bitte auf seine Expertise konzentrieren möge und ihnen wiederum die Kompetenz des Changes, der Veränderungsgestaltung überlassen soll. Das tut verdammt weh und fordert den Unternehmer in seiner vollen Stärke.

Identitätskrise und Kindsweglegung 

Der Eigentümer erlebt eine neue Form von Einsamkeit, die sich ihm als Ärger, Frustration, erlebtes Unverständnis und deutliche Unzufriedenheit mit der erbrachten Fehlleistung präsentiert. Fehlleistung deshalb, weil er schließlich sehr klar in seinem Zukunftsbild war und sein bisheriger Erfolg ihm bestätigt, dass er sein Geschäft versteht. Wenn seine Veränderungsbegleiter mit völlig anderen Strategien aufwarten, als er sie in der Vervielfältigung seiner Kompetenz gesehen hätte, darf er sich falsch verstanden und fehlinterpretiert fühlen.
Überlässt er den Change-Professionisten jetzt das Feld, verändert sich sein Baby möglicherweise bis zur Unkenntlichkeit. Will er diese Firma dann noch? Ist dort noch ein Platz für ihn und seine Kompetenz?
Er wird sich täglich fragen, ob er die weitere Veränderungsreise ertragen oder unterwegs abbrechen soll, „bevor es zu spät ist“.

Die vierte Übung: Begleitung beruht auf Gegenseitigkeit

Das ist alles halb so schlimm und deutlich harmloser, wenn es einen klaren Plan und einen guten, beständig erneuerten und wiederholt gefestigten Austausch mit allen Beitragenden gibt. Doch dieser Schritt muss wohl vom Projektleiter, dem Begleiter oder dem Berater ausgehen. Der Eigentümer ist schließlich vom reibungslosen Fortgang seiner Geschäftstätigkeit beansprucht. Auch fällt es ihm häufig schwer, das Gespräch zu suchen und die dafür benötigte Zeit als gut gewidmet zu erleben.

Dieser Auftrag liegt in den Händen der Beitragenden. Egal, wie mühsam oder abgrenzend die Kommunikation sein mag. Es ist ihr Job, den Unternehmer immer wieder abzuholen. Der Berater wird den Weg immer wieder zum internen Partner suchen, um mit ihm den Schulterschluss für die Zielerreichung herzustellen. Ebenso wichtig ist es jedoch, den Unternehmer in den Dialog zu bringen und mit ihm an seiner neuen Rolle als Sponsor und Initiator zu arbeiten.

Der Unternehmer braucht Begleitung, die nicht zu belehrend und nicht zu offenkundig ist. Das Steering Committee ist ein Entscheidungs- und Steuerungsgremium. Den Unternehmer dort in seine Grenzen zu weisen und an seinen eigenen Auftrag zu erinnern, ist eine Themenverfehlung und kostet Umwege. Er braucht vor allem auch Zeit, für sich neue Handlungsmuster in der Führung auszuprobieren und ihre Vorzüge herauszufinden. Die dafür benötigte Bühne bedingt den Ausschluss der Öffentlichkeit, bis sich kleine Generalproben in Workshops oder Führungssituationen anbieten. Der Unternehmer erlebt das Loslassen im Veränderungsprozess als bedrohlich. Es steht konträr zu seinem Gründungsanliegen. Diese Wert- und Haltungsänderung kostet ihn sehr harte Arbeit.

Der reine Wachstums- und Veränderungswille mag ihn darin unterstützen, den Weg immer wieder zu erkennen und das Ziel nicht aus den Augen zu lassen. Die Überwindung zur persönlichen Veränderung und Neuausrichtung ist ein langwieriger Prozess. Könnte er aus seiner Haut, wäre es kein Change.

Meine Perspektive – zwei Seelen in einer Brust

Sie sind selbst Berater, haben einen Begleitungsauftrag und bringen Change Erfahrung mit? Teilen Sie Ihre Beobachtungen gerne mit mir. Ich bin hier „Täter und Opfer“ in einem. Wenn ich meinen Kunden in ihrem schwierigen, langwierigen Unterfangen zur Seite stehe, mich für einen mühsamen und auch konfliktreichen Marsch rüste, sehe und spüre ich ihren starken inneren Kampf. Mich rührt ihr Leiden.

Gleichzeitig bin ich selbst mit meinem eigenen Unternehmen mitten in einem Change und erkenne, wie wenig ich gewillt bin, mein eigenes Kind wegzulegen und es mir von anderen reparieren oder wachsen zu lassen.

Aus dieser Doppelsicht weiß ich: Der Mut, mit meinen Unternehmern um ihren nächsten Schritt für ihren zukünftigen Erfolg zu ringen, ist ein Klacks im Vergleich zu ihrer eigenen Überwindungsleistung, wenn sie Hand an ihr Baby legen lassen.

Diesem Ungleichgewicht dürfen wir mit Hochachtung und Sanftheit begegnen.

 


 

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